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“Die Macht und Vollmacht des höheren oder Melchisedekischen Priestertums ist es, die Schlüssel aller geistigen Segnungen der Kirche innezuhaben” (Lehre und Bündnisse 107:18).
Lehre und Bündnisse 107:1-32 – Die Vollmacht des Herrn auf Erden
Die ersten zweiunddreißig Verse von L&B 107 legen ein theologisches Fundament, das für das Verständnis der göttlichen Vollmacht auf Erden unverzichtbar ist. In ihnen wird nicht nur zwischen zwei Priestertümern unterschieden, sondern auch erklärt, welche Segnungen und Schlüssel damit verbunden sind. Darüber hinaus geben sie Einblick in die Organisation der Kirche durch Räte und Kollegien, deren Entscheidungen in Einstimmigkeit erfolgen sollen. Der Abschnitt zeigt damit, dass die Kirche Jesu Christi keine menschliche Gründung ist, sondern dass sie von Anfang an durch himmlische Ordnung, Vollmacht und Weisung geführt wird.
Zwei Arten des Priestertums (Verse 1–6)
Die Offenbarung beginnt mit einer grundlegenden Feststellung: „Es gibt in der Kirche zwei Priestertümer, nämlich das Melchisedekische und das Aaronische, oder Levitische“ (L&B 107:1). Diese Unterscheidung knüpft an biblische und buch-mormonische Traditionen an. Das Melchisedekische Priestertum trägt seinen Namen, weil Melchisedek „so großen Glauben ausübte, dass er durch die Macht seines Glaubens den Himmel und die Erde bewegte“ (vgl. Alma 13:17–18). In L&B 107 wird erklärt: „Warum es das Melchisedekische Priestertum genannt wird, ist, weil Melchisedek so großen Glauben ausübte“ (Vers 2). Ursprünglich hieß es „das Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes“ (Vers 3), doch um „die häufige Wiederholung des Namens des Sohnes Gottes zu vermeiden“ (Vers 4), wurde es nach Melchisedek benannt.
Das Aaronische Priestertum, oder auch das Levitische Priestertum genannt, wird hingegen als „untergeordnetes Priestertum“ bezeichnet (Vers 6). Es enthält „den Schlüssel des Dienstes von Engeln und des Vorbereitenden-Evangeliums“ (Vers 20). Während das Melchisedekische Priestertum die Fülle des Evangeliums verwaltet, bereitet das Aaronische Priestertum auf höhere Segnungen vor. Joseph Smith lehrte, dass diese zwei Ordnungen zusammen den Bau des Reiches Gottes ermöglichen: Das eine führt in die Gegenwart Gottes, das andere legt das Fundament der Vorbereitung durch Umkehr, Taufe und äußere Verordnungen (vgl. Teachings of the Prophet Joseph Smith, S. 166).
Die Unterscheidung der beiden Priestertümer bedeutet somit, dass der Herr eine göttliche Ordnung geschaffen hat, die sowohl Vorbereitung als auch Vollendung umfasst. Für uns heute heißt das: Jeder Dienst im Reich Gottes hat seinen Platz und seine Vollmacht. Junge Männer, die das Aaronische Priestertum tragen, üben nicht nur kleine Aufgaben aus, sondern erfüllen eine Schlüsselrolle in der Vorbereitung der Heiligen auf die Segnungen des Melchisedekischen Priestertums.
Die Vorzüge des Melchisedekischen Priestertums (Verse 18–19)
Besonders aufschlussreich ist die Beschreibung der Segnungen, die mit dem Melchisedekischen Priestertum verbunden sind: „den Vorzug zu genießen, die Geheimnisse des Himmelreichs zu empfangen, den Himmel aufzuschließen, die Gegenwart Gottes des Vaters zu sehen und das Angesicht Jesu Christi zu schauen“ (L&B 107:19). Diese Verheißung ist bemerkenswert, weil sie zeigt, dass das Priestertum nicht bloß Verwaltung ist, sondern Zugang zu geistigen Realitäten eröffnet.
Die „Geheimnisse des Himmelreichs“ bedeuten hier nicht geheime Lehren, sondern Offenbarungen, die nur durch den Heiligen Geist empfangen werden können. Schon im Buch Mormon erklärt Alma: „Es sind viele, die so große Glauben gehabt haben, dass sie unaussprechliche Dinge sahen“ (Ether 12:19). Im Neuen Testament spricht Paulus von „Geheimnissen Gottes“ (1. Korinther 4:1), die den Dienern Christi anvertraut sind.
Für uns heute bedeutet diese Verheißung, dass das Melchisedekische Priestertum nicht nur ein Amt ist, sondern eine Einladung, durch Rechtschaffenheit und Glauben Zugang zu Offenbarung und zur Gegenwart Gottes zu finden. Präsident Russell M. Nelson betonte: „Wenn du das Priestertum trägst, dann trägst du nicht nur einen Titel. Du trägst die Verantwortung, Gottes Kinder zu segnen und Offenbarung für dein Leben und deinen Dienst zu empfangen“ (General Conference, April 2016).
Die Schlüssel des Aaronischen Priestertums (Vers 20)
Vers 20 ergänzt: „Das Macht und die Vollmacht des Aaronischen Priestertums ist, die Schlüssel des Dienstes von Engeln innezuhaben und die äußerlichen Verordnungen zu vollziehen, den “Buchstaben des Evangeliums”, die Umkehr von Sünden und die Taufe zur Vergebung der Sünden zu verwalten, in Übereinstimmung mit den Bündnissen und Geboten.“
Diese Formulierung ist einzigartig: Sie verheißt den Priestern und Diakonen, dass sie in besonderer Weise mit der Hilfe von Engeln verbunden sind. Schon im Buch Mormon heißt es: „Engel dienen den Menschen, die einen starken Glauben und einen festen Sinn haben“ (Moroni 7:29-30). Präsident Dallin H. Oaks erklärte: „Wenn junge Männer das Aaronische Priestertum tragen, haben sie eine ganz reale Verbindung mit der Macht des Himmels. Sie üben Vollmacht in Verordnungen aus, die alle auf das Melchisedekische Priestertum vorbereiten“ (General Conference, April 2014).
Die „äußerlichen Verordnungen“ – wie Taufe und Abendmahl – sind damit nicht äußerlich im Sinne von nebensächlich, sondern im Sinn von sichtbar und grundlegend. Sie öffnen die Tür zu den inneren, höheren Segnungen, die im Melchisedekischen Priestertum liegen. Für uns heute bedeutet das, dass auch die scheinbar einfachen Dienste – das Spenden des Abendmahls, das Austeilen von Brot und Wasser – ein äußerst heiliger Akt sind, der Engel und göttliche Gegenwart mit sich bringt.
Die Räte und Kollegien des Priestertums (Verse 21–32)
Ein weiterer Schwerpunkt dieser Verse liegt auf den Gremien, die die geistige Autorität der Kirche ausmachen. Ab Vers 21 wird das „Hohepriestertum nach der Ordnung Melchisedeks“ beschrieben, das in der Kirche durch das Kollegium der Zwölf, die Siebziger und den Hohen Rat repräsentiert wird. Diese Kollegien bilden gemeinsam die Führung, in der die Autorität des Herrn auf Erden ausgeübt wird.
Besonders bemerkenswert ist die Betonung auf Einstimmigkeit: „Und alle Dinge sollen durch Einstimmigkeit im Rat beschlossen werden, und das soll durch die Stimme des Kollegs oder der Mehrheit des Kollegs geschehen“ (L&B 107:27). Vers 30 führt aus: „Die Entscheidungen des Kollegiums der Hohen Räte oder des Hohen Rates im Zion sollen einstimmig getroffen werden, damit die Entscheidungen vollkommen sein können.“
Diese Weisung bedeutet, dass geistliche Autorität nicht autokratisch ausgeübt wird, sondern durch Beratung, Demut und das Bemühen, den Willen des Herrn gemeinsam zu erkennen. Präsident Gordon B. Hinckley bezeugte: „Ich habe an Sitzungen der Ersten Präsidentschaft und des Kollegiums der Zwölf teilgenommen, und ich sage Ihnen: Entscheidungen werden nicht getroffen, bis Einstimmigkeit erreicht ist. Das ist die Art und Weise des Herrn“ (General Conference, April 1994).
Für uns heute ist dieses Prinzip nicht nur in der obersten Kirchenleitung gültig, sondern auch in Pfahl- und Gemeinderäten. Entscheidungen werden im Rat getroffen, nicht allein. Das macht die Kirche zu einer Kirche der Ordnung, in der die Macht Gottes durch Räte ausgeübt wird, die gemeinsam nach dem Geist suchen.
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