„Wir glauben alles, was Gott offenbart hat, und alles, was er jetzt offenbart;
und wir glauben, dass er noch viel Großes und Wichtiges offenbaren wird,
was das Reich Gottes betrifft.“ (Glaubensartikel 1:9).
Glaubensartikel1:9–13 – Freiheit, Hoffnung und das kommende Reich
Die letzten fünf Glaubensartikel öffnen den Blick über die Wiederherstellung hinaus in die Zukunft des Reiches Gottes. Sie verbinden Glauben mit Verantwortung, Offenbarung mit Freiheit und Hoffnung mit tätiger Tugend. Im neunten Glaubensartikel klingt das Herzstück der Wiederherstellung an: Gott spricht weiterhin zu seinen Kindern. Dieses Vertrauen auf fortdauernde Offenbarung unterscheidet die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage seit ihren Anfängen. Als Joseph Smith diese Worte formulierte, stand er inmitten einer Zeit religiöser Starre, in der viele Christen glaubten, dass die himmlische Offenbarung mit der Bibel abgeschlossen sei. Der Prophet bezeugte dagegen mit aller Klarheit, dass Gott „noch viel Großes und Wichtiges offenbaren wird“. Diese Erwartung durchzieht das ganze Werk der Letzten Tage. In LuB 1:30 nennt der Herr die Kirche „die einzige wahre und lebendige Kirche auf dem Antlitz der ganzen Erde“, gerade weil sie unter göttlicher Führung „aus der Wüste hervorkommt, leuchtend wie der Mond, klar wie die Sonne“.
Fortdauernde Offenbarung bedeutet, dass der Himmel nicht schweigt. Sie geschieht nicht nur in den großen Visionen der Propheten, sondern auch im stillen Wirken des Geistes in jedem suchenden Herzen. „Suchet Belehrung, ja, durch Studium und auch durch Glauben“ (LuB 88:118), lehrt der Herr. Damit beschreibt er das fortwährende Zusammenspiel von göttlicher Führung und menschlichem Lernen. Offenbarung ist dynamisch: sie entfaltet sich, während das Reich Gottes wächst. Der Heilige Geist offenbart „Zeile um Zeile, Weisung um Weisung“ (Jesaja 28:10; 2 Nephi 28:30). Wer also glaubt, öffnet sein Herz nicht nur für das, was Gott einst gesagt hat, sondern für das, was er heute sagt – durch seine Propheten, durch die Schriften und durch den stillen Eindruck im Herzen.
Der zehnte Glaubensartikel führt diese fortdauernde Führung in die Zukunft: die buchstäbliche Sammlung Israels, die Wiederherstellung der Zehn Stämme, der Aufbau Zions und die Wiederkunft Christi. Diese Aussagen wurzeln tief in den Verheißungen der Bibel und des Buches Mormon. Schon Jesaja sah die Zeit, da der Herr „den Überrest seines Volkes wieder sammeln“ werde (Jesaja 11:11–12). Der Erretter selbst sprach von „anderen Schafen“, die seine Stimme hören würden (Johannes 10:16), und im Buch Mormon wird diese Verheißung auf das Haus Israel bezogen (3 Nephi 15:21–24). Zion, das „Neue Jerusalem“, ist mehr als ein geographischer Ort – es ist ein geistiger Zustand der Reinheit und Einigkeit. Wenn der Glaubensartikel davon spricht, dass „die Erde erneuert werden und ihre paradiesische Herrlichkeit empfangen wird“, verweist er auf die große Verheißung der Erneuerung aller Dinge (Offenbarung 21:1–5).
In diesen prophetischen Bildern liegt eine tiefe Hoffnung: die Erde, die jetzt unter Sünde und Tod seufzt, wird eines Tages wiederhergestellt. Das ist das Ziel des Erlösungsplans – nicht nur die Rettung einzelner Seelen, sondern die Verwandlung der gesamten Schöpfung. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letten Tage bereitet sich auf dieses Reich vor, indem sie die Heiligen sammelt, Tempel baut und Bündnisse schließt. In diesem Sinn ist jedes Werk des Glaubens – jede Umkehr, jede Taufe, jede heilige Handlung – ein Beitrag zur Errichtung Zions.
Der elfte und zwölfte Glaubensartikel wenden sich der Gegenwart zu: Freiheit und Gesetz, Gewissen und Verantwortung. Joseph Smith lebte in einer Zeit, in der religiöse Minderheiten leicht verfolgt wurden. Aus eigenem Erleben wusste er, wie wertvoll die Gewissensfreiheit ist. Deshalb bekennt die Kirche: „Wir beanspruchen das Recht, den allmächtigen Gott zu verehren, wie es uns das eigene Gewissen gebietet, und gestehen allen Menschen das gleiche Recht zu.“ Diese Haltung wurzelt im Beispiel Christi selbst, der einlädt, aber nicht zwingt (Lukas 9:54–56; 2 Nephi 2:27). Auch LuB 134:4 erklärt: „Wir glauben, dass Religion nur durch Überzeugung und nicht durch Zwang zu beeinflussen ist.“ Freiheit des Gewissens ist somit eine göttliche Gabe, die es zu schützen gilt.
Der zwölfte Glaubensartikel betont sodann den Respekt vor irdischen Gesetzen und Herrschern. „Wir glauben, dass es recht ist, einem König, Präsidenten, Herrscher oder Vertreter der Staatsmacht untertan zu sein und das Gesetz zu beachten, zu ehren und für es einzutreten.“ Damit bekennt sich die Kirche ausdrücklich zur Ordnung. Schon Paulus schrieb: „Jedermann sei untertan der obrigkeitlichen Gewalt; denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott“ (Römer 13:1). Auch der Herr selbst lehrte: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Matthäus 22:21). Dieses Gleichgewicht von göttlicher und bürgerlicher Loyalität ist kennzeichnend für die Heiligen der Letzten Tage. Es bedeutet nicht, jedes staatliche Handeln als vollkommen zu betrachten, sondern in Gerechtigkeit und Respekt zu leben, während man zugleich den höheren Gesetzen des Reiches Gottes treu bleibt.
Der dreizehnte Glaubensartikel fasst schließlich die Haltung eines wahren Jüngers Christi zusammen: Ehrlichkeit, Treue, Keuschheit, Güte, Tugend und tätige Liebe. Er ist weniger ein Glaubensbekenntnis als ein Lebensprogramm. In seinen Worten klingt die Ermahnung des Paulus aus Philipper 4:8 an: „Was wahrhaft, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was wohlklingend ist, wenn es irgendeine Tugend gibt und wenn etwas lobenswert ist, darauf seid bedacht.“ Der Artikel schließt mit einem Zeugnis der Hoffnung: „Wir glauben alles, wir hoffen alles, wir haben viel ertragen und hoffen, alles ertragen zu können.“ Jakob lehrt, dass wir durch das Sühnopfer Christi versöhnt werden und so eine lebendige Hoffnung auf Herrlichkeit empfangen, die uns befähigt, rein und standhaft vor Gott zu treten (vgl. Jakob 4:11).
In diesen letzten Glaubensartikeln zeigt sich der ganze Bogen des Evangeliums: Offenbarung aus der Vergangenheit, Hoffnung für die Zukunft, Freiheit und Tugend in der Gegenwart. Das Reich Gottes ist kein fernes Ideal, sondern eine wachsende Wirklichkeit – in den Herzen derer, die glauben und handeln. Wenn LuB 121:41–46 das Wesen göttlicher Macht beschreibt, geschieht das in denselben Begriffen: Sanftmut, Liebe, Güte, Überzeugung. So wird das Reich Gottes errichtet – nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugung, nicht durch Gewalt, sondern durch Licht.
Offenbarung, Sammlung, Freiheit und Tugend sind vier Pfeiler, auf denen das Leben eines Jüngers Christi ruht. Sie lehren, dass der Glaube nicht in der Vergangenheit verharrt, sondern in die Zukunft blickt. Der Himmel ist offen, der Herr wirkt, und sein Reich wächst – leise, aber unaufhaltsam. Wer diesen Glaubensartikeln folgt, öffnet sich dem Geist fortwährender Führung und lebt zugleich in der Welt mit Rechtschaffenheit und Liebe.
Am Ende steht die Einladung, sich selbst zu prüfen: Wie offen ist mein Herz für das, was Gott heute offenbaren will – in seiner Kirche und in meinem eigenen Leben? Denn die Glaubensartikel enden nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Ausrufezeichen des Vertrauens: Gott lebt, spricht und führt – und er bereitet sein Volk auf das kommende Reich vor.



