(Bild: Quelle)
“Um das Zeugnis dieses Buches und des Buches Mormon zu besiegeln, geben wir den Märtyrertod des Propheten Joseph Smith und des Patriarchen Hyrum Smith bekannt. ...” (Lehre und Bündnisse 135:1).
Dieser Vers führt uns mitten in das Geschehen von Carthage und lässt uns erkennen, dass das vergossene Blut der Propheten mehr war als ein Ende – es war ein göttliches Siegel der Wahrheit.
Lehre und Bündnisse 135 – Das Zeugnis des Blutes
Historischer Hintergrund – Die letzten Tage in Carthage
Entstehungskontext des Abschnitts
Der Text von L&B 135 wurde von Elder John Taylor verfasst, einem der Zwölf Apostel, der zusammen mit Joseph Smith, Hyrum Smith und Willard Richards im Gefängnis von Carthage inhaftiert war. Taylor war Augenzeuge des Martyriums und überlebte schwer verletzt. Er verfasste dieses bewegende Zeugnis nur wenige Tage nach dem 27. Juni 1844, zunächst für die Veröffentlichung im Times and Seasons, und es wurde anschließend in die 1844-Ausgabe des Buches Lehre und Bündnisse aufgenommen. Sein Bericht trägt die doppelte Bedeutung eines Augenzeugenprotokolls und eines apostolischen Zeugnisses. Der Abschnitt wurde nicht als Offenbarung diktiert, sondern als eine inspiriert formulierte Bekanntmachung des Märtyrertodes der beiden Brüder – und zugleich als feierliche Bekräftigung der Wahrheit ihres Werkes.
Juni 1844 – Spannungen und Verrat
Der Weg nach Carthage war das Ergebnis monatelanger politischer, gesellschaftlicher und religiöser Spannungen in Illinois. Joseph Smith war nicht nur der Präsident der Kirche, sondern auch Bürgermeister von Nauvoo und Kandidat für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten. Diese Machtkonzentration, verbunden mit Gerüchten über die Praxis der Mehrehe und wachsender Feindschaft unter abtrünnigen Mitgliedern, erzeugte ein explosives Klima. Der unmittelbare Auslöser war die Zerstörung der Druckerpresse des „Nauvoo Expositor“ am 10. Juni 1844. Die Herausgeber – ehemalige Mitglieder, die Joseph Smith des Machtmissbrauchs bezichtigten – hatten in ihrer einzigen Ausgabe Anschuldigungen gegen ihn veröffentlicht. Der Nauvoo-Stadtrat erklärte die Druckerpresse zur öffentlichen Belästigung und ließ sie gemäß dem Stadtrecht entfernen.
Diese Entscheidung wurde von den Gegnern Joseph Smiths als Angriff auf die Pressefreiheit gedeutet und führte zu einem Haftbefehl wegen „Aufruhr“. Joseph und Hyrum Smith beschlossen, sich freiwillig zu stellen, um weiteren Gewaltausbrüchen vorzubeugen. Am 24. Juni 1844 ritt Joseph nach Carthage, begleitet von mehreren Freunden, unter ihnen John Taylor und Willard Richards. Bevor er Nauvoo verließ, sagte er mit prophetischem Blick: „Ich gehe wie ein Lamm zum Schlachten.“ (vgl. Vers 4).
Im Gefängnis von Carthage
Die vier Männer wurden in einem kleinen oberen Raum des Carthage Jail festgehalten, während draußen eine zunehmend feindselige Menge tobte. Gouverneur Thomas Ford hatte ihnen Sicherheit zugesichert, reiste jedoch selbst mit der Miliz aus der Stadt ab – ein verhängnisvoller Fehler. John Taylor beschreibt in seinem Bericht, wie die Gefangenen jene Tage in Gebet, Gespräch und Gesang verbrachten. Am Morgen des 27. Juni las Hyrum Smith aus Ether 12:36–38 im Buch Mormon – eine Stelle über Glauben, Nächstenliebe und das Reingemacht-Werden der Kleider durch Treue. Diese Verse wurden zur geistlichen Vorbereitung auf ihr Schicksal.
Gegen fünf Uhr nachmittags stürmte ein bewaffneter Mob von etwa 150–200 Männern das Gefängnis. Hyrum wurde als Erster tödlich getroffen, fiel mit den Worten: „Ich bin des Todes!“ Joseph feuerte seine Pistole zur Selbstverteidigung ab, doch vergeblich. Er sprang aus dem Fenster, rief: „O Herr, mein Gott!“ und wurde beim Aufprall erschossen. John Taylor wurde schwer verwundet; Willard Richards blieb auf wundersame Weise unverletzt.
Das Zeugnis John Taylors
John Taylor begann seinen Bericht mit den Worten:
„Um das Zeugnis dieses Buches und des Buches Mormon zu besiegeln, geben wir den Märtyrertod … bekannt.“ (Vers 1)
Er betrachtete den Tod der Brüder nicht als Zufall, sondern als Siegel ihres göttlichen Auftrags. In seinen Augen war ihr vergossenes Blut ein sichtbares Zeugnis, dass das Werk, das sie begonnen hatten, wahr und von Gott bestätigt war. In Vers 7 nennt er dieses Blut ein „großes Siegel“, das „von keinem Gerichtshof auf Erden verworfen werden kann“. Damit erhob Taylor die Tat über die Ebene politischer oder rechtlicher Fragen hinaus – sie wurde zum kosmischen Zeugnis der Wahrheit.
Die Größe Josephs
In Vers 3 formuliert John Taylor einen der kraftvollsten Nachrufe der Kirchengeschichte:
„Joseph Smith … hat mehr für die Errettung der Menschen in dieser Welt getan als irgendein anderer Mensch, der je auf ihr gelebt hat – Jesus allein ausgenommen.“
Diese Worte fassen die Dankbarkeit der frühen Heiligen zusammen. Taylor listet die Taten Josephs auf: Übersetzung und Veröffentlichung des Buches Mormon, Offenbarungen, Sammlung der Heiligen, Gründung von Nauvoo – und betont, dass Josephs Name „nicht getötet werden kann“. Diese Formulierung erinnert an das biblische Prinzip, dass wahre Propheten im Tod triumphieren, weil ihr Zeugnis ewig bleibt. Wie die meisten Gesalbten in alter Zeit (vgl. Hebräer 11), besiegelte Joseph sein Werk „mit seinem eigenen Blut“.
Parallelen zu biblischen Märtyrern
Die Schilderung trägt deutliche Parallelen zur Steinigung des Stephanus (Apostelgeschichte 7) und zur Hinrichtung des Paulus. Beide litten um des Zeugnisses Jesu willen und starben mit einem Blick auf den Himmel. Auch Hyrum und Joseph verließen die Welt in Frieden des Gewissens (Vers 4). Wie Stephanus sahen sie über den Hass der Menschen hinweg und vertrauten auf göttliche Gerechtigkeit.
In Vers 5 verknüpft Taylor die letzten Worte Hyrums mit dem Zitat aus Ether 12, wo der Prophet Moroni von der Reinigung der Kleider spricht. Damit stellte er Hyrum in die Linie der alttestamentlichen und neubiblischen Zeugen, deren Blut „unterhalb des Altars“ auf Gerechtigkeit wartet (vgl. Offenbarung 6:9-11). Der Text greift dieses Bild in Vers 7 wieder auf, wenn er sagt, dass ihr Blut zusammen mit dem aller Märtyrer „zum Herrn der Heerscharen schreien“ werde.
Die Bedeutung des Martyriums für die frühe Kirche
Das Martyrium Josephs und Hyrums markierte das Ende einer Ära. Es war nicht das Ende der Kirche, sondern der Beginn ihres weltweiten Auftrags. Viele Heilige sahen in diesem Ereignis die Erfüllung der Schriftworte, dass der Herr seine Propheten nicht im Stich lässt, sondern ihr Blut zum Zeugnis macht. Doctrine and Covenants Central bemerkt, dass die Gläubigen Josephs Tod als „Opfer der Versöhnung zwischen Erde und Himmel“ betrachteten (Zusammenfassung). Das Blut der Propheten wurde so zu einem heiligen Pfand, dass Gott sein Werk fortsetzen würde.
Auch in praktischer Hinsicht hatte der Tod der Brüder eine tiefgreifende Wirkung. Wie Steven C. Harper erläutert, führte das Martyrium zur Stärkung der Führungsautorität des Kollegiums der Zwölf, das nun die Leitung übernahm. Es prüfte die Glaubenstreue der Mitglieder: Würden sie dem Zeugnis der Märtyrer folgen oder den Anfeindungen weichen?
Geistliche Anwendung
Für heutige Leser erinnert L&B 135 daran, dass wahres Zeugnis Opfer fordert. Joseph und Hyrum gaben nicht nur ihr Leben, sondern zuvor auch Jahre des Leidens, der Verfolgung und des unerschütterlichen Dienstes. Ihr Beispiel ruft jeden Nachfolger Christi auf, standhaft zu bleiben – auch, wenn der Preis hoch ist. Wie sie sollen wir „so ruhig wie ein Sommermorgen“ (Vers 4) dem begegnen, was Gott zulässt, im Wissen, dass Unschuld und Glauben stärker sind als Gewalt und Hass.
Ihr unschuldiges Blut ist, wie Taylor schrieb, ein „Botschafter für die Religion Jesu Christi“ (Vers 7). Es ruft auch heute noch zum Glauben, zur Wahrhaftigkeit und zum Mut, Zeugnis abzulegen. Josephs Name wurde tatsächlich nicht getötet: Millionen erkennen ihn heute als Propheten an, der das wiederhergestellte Evangelium brachte.
Schlussgedanke
L&B 135 ist kein Bericht bloßer Tragödie, sondern ein Loblied auf göttliche Treue. John Taylor bezeugt, dass Joseph Smith „groß im Leben und groß im Sterben“ war, und dass Gott seine Propheten nicht verlässt. Wie bei Stephanus, Paulus und allen Gerechten vergangener Zeiten ist ihr Blut nicht vergebens, sondern das Siegel eines Bundes, der Himmel und Erde verbindet.

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