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“Wahrlich, so spricht der Herr zu euch: Keiner Waffe, die gegen euch geformt ist, wird etwas gelingen;” (Lehre und Bündnisse 71:9).
1. Historischer Hintergrund
Am 1. Dezember 1831 empfingen Joseph Smith und Sidney Rigdon eine Offenbarung, die heute als Abschnitt 71 im Buch Lehre und Bündnisse enthalten ist. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten die beiden intensiv an der inspirierten Bibelübersetzung. Doch es gab ein akutes Problem, das ihre Aufmerksamkeit erforderte: wachsender öffentlicher Widerstand gegen die Kirche.
Der unmittelbare Anlass für diese Offenbarung waren mehrere öffentlich verbreitete Briefe von Ezra Booth, einem ehemaligen Ältesten der Kirche. Booth hatte kurz zuvor seine Mission in Missouri enttäuscht beendet und war in Ohio zu einem scharfen Kritiker des Propheten Joseph Smith geworden. In der Lokalzeitung Ohio Star veröffentlichte er eine Reihe von Briefen, in denen er den Propheten angriff, seine Glaubwürdigkeit in Frage stellte und Misstrauen gegen die Kirche schürte.
Neben Booth wandte sich auch Symonds Rider von der Kirche ab. Rider hatte offenbar Schwierigkeiten mit der Lehre vom Gesetz der Weihe, wie es in L&B 42 offenbart wurde. Er warf der Kirchenleitung vor, durch dieses Gesetz die Kontrolle über das Eigentum der Mitglieder an sich zu reißen. Außerdem übergab er eine Offenbarung an eine andere Zeitung, obwohl diese als vertraulich galt.
Inmitten dieser Angriffe empfing Joseph Smith die Offenbarung, die ihn und Sidney Rigdon anwies, ihre Übersetzungsarbeit zu unterbrechen und stattdessen öffentlich das Evangelium zu predigen, um die aufkommenden Feindseligkeiten zu entkräften und für die Wahrheit Zeugnis zu geben.
2. Die Offenbarung im Detail (Verse 1–11)
In Vers 1 ruft der Herr Joseph Smith und Sidney Rigdon auf, „den Mund aufzutun“ und das Evangelium zu verkündigen. Sie sollen die Geheimnisse des Reiches Gottes aus den Schriften erklären – allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern gemäß dem Maß des Geistes und der Macht, das ihnen gegeben wird. Diese Betonung auf Inspiration und göttlicher Führung unterstreicht, dass ihre Botschaft nicht menschlicher Natur, sondern göttlich autorisiert ist.
In Versen 2–4 wird klargestellt, dass diese Predigtmission nur für „eine Zeit lang“ gelten soll – also eine begrenzte, wenn auch sehr wichtige Aufgabe darstellt. Die beiden sollen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche wirken, um die kommenden Offenbarungen vorzubereiten und den Weg für die weitere Ausbreitung des Evangeliums zu ebnen.
Die Verse 5–6 stellen ein zentrales Prinzip des geistigen Wachstums vor: Wer die Lehren Gottes annimmt und sich öffnet, wird „reichlicher“ empfangen – vor allem in Bezug auf Macht und Erkenntnis. Dies ist ein wiederkehrendes Thema in den Schriften der Letzten Tage: Der Geist wirkt in dem Maß, wie Menschen bereit sind, ihn zu empfangen.
Verse 7–10 enthalten eine bemerkenswerte Anweisung: Joseph und Sidney sollen ihre Feinde öffentlich und privat herausfordern und sich nicht scheuen, mit ihnen in einen offenen Diskurs zu treten. Es wird ihnen verheißen, dass, wenn sie treu bleiben, die Schande ihrer Gegner offenbar werden wird und keine gegen sie „geformte Waffe“ Erfolg haben wird. Der Herr selbst wird jene, die sich gegen sie stellen, zur gegebenen Zeit zuschanden machen.
Abschließend ruft Vers 11 zur Treue gegenüber den Geboten auf: „Sie sind wahr und treu.“ Dies ist nicht nur eine Bestätigung göttlicher Verlässlichkeit, sondern auch ein Appell zur Standhaftigkeit angesichts von Widerstand und Kritik.
3. Konkrete Umsetzung der Offenbarung
Joseph Smith und Sidney Rigdon befolgten die Anweisung des Herrn umgehend. Sie bereisten mehrere Ortschaften in Ohio – insbesondere Shalersville und Ravenna – und predigten mit Kraft. In Ravenna veröffentlichte Sidney Rigdon in der Ohio Star eine Einladung an Ezra Booth und Symonds Rider zu einer öffentlichen Debatte am 25. Dezember 1831. Diese Einladung blieb unbeantwortet – keiner der beiden erschien zur Auseinandersetzung.
Trotzdem wirkte die Predigttätigkeit der beiden Apostel: Viele falsche Vorstellungen konnten berichtigt, aufgebrachte Gemüter beruhigt und neue Türen für das Evangelium geöffnet werden. Joseph Smith schrieb später, dass sie „viel dazu beigetragen haben, die erregten Gefühle zu besänftigen“, die durch Booths Briefe entfacht worden waren.
4. Zeitlose Lehren für unsere Tage
L&B 71 enthält tiefgreifende Grundsätze, die auch im 21. Jahrhundert von Bedeutung sind – insbesondere in einer Zeit, in der religiöser Glaube oft Ziel von Spott, Kritik und Missverständnissen ist.
- Wahre Verteidigung des Glaubens: Es ist nicht immer richtig, einfach zu schweigen oder Konflikten auszuweichen. Es gibt Momente – wie im Fall Josephs und Sidneys –, in denen es notwendig ist, aktiv Zeugnis zu geben und Irrtümer richtigzustellen. Dies bedeutet nicht, zu streiten oder aggressiv zu reagieren, sondern mit dem Geist der Wahrheit und Liebe zu handeln.
- Der Herr schützt seine Diener: Die Zusicherung, dass keine Waffe gegen die Diener Gottes Erfolg haben wird (Vers 9), ist auch heute eine Quelle der Hoffnung. Wer sich mutig zu Christus bekennt, darf auf göttlichen Beistand vertrauen – auch wenn dieser nicht immer sofort sichtbar ist.
- Göttliche Kraft durch Annahme der Wahrheit: Die Verheißung, dass dem, der empfängt, „reichlicher gegeben“ wird (Vers 6), zeigt ein wichtiges geistliches Prinzip: Je mehr wir uns dem Licht des Evangeliums öffnen, desto größer wird unser Verständnis, unsere Kraft und unser Einfluss zum Guten.
- Der Wert öffentlicher Rede: Die Bereitschaft, sich offen der Kritik zu stellen und andere einzuladen, die Wahrheit selbst zu prüfen, ist eine Form von geistiger Transparenz. Der Glaube an Christus ist kein „Geheimwissen“, sondern soll auf dem öffentlichen Marktplatz des Denkens bestehen.
- Wahre Fragen zuerst: Elder Lawrence E. Corbridge von den Siebzigern erinnerte daran, dass wir uns zuerst mit den „primären Fragen“ des Glaubens befassen sollten: Gibt es einen Gott? Ist Jesus der Sohn Gottes? War Joseph Smith ein Prophet? Ist die Kirche Christi wiederhergestellt? Wenn diese Grundfragen beantwortet sind, erscheinen viele „sekundäre“ Fragen – etwa zu Kirchengeschichte oder Kulturfragen – in einem anderen Licht.
5. Schlussfolgerung
L&B 71 ist eine kraftvolle Erinnerung daran, dass der Glaube verteidigt werden darf – und manchmal auch verteidigt werden muss. Der Herr ruft seine Diener auf, nicht aus Angst zu schweigen, sondern im Vertrauen auf seine Führung das Evangelium mit Kraft zu verkünden. Widerstand gegen das Werk Gottes ist nichts Neues – doch ebenso wenig neu ist Gottes Verheißung, seine Werkzeuge zu schützen und ihre Feinde zu beschämen, wenn sie treu bleiben.
Auch heute erleben viele Gläubige Gegenwind – ob in Gesprächen mit Freunden, an Schulen oder im digitalen Raum. Abschnitt 71 lädt dazu ein, mutig und klar Zeugnis zu geben, nicht im Geist des Streits, sondern mit göttlicher Kraft, Wahrheit und Liebe. Wer das tut, wird erleben, dass der Herr selbst hinter ihm steht – „denn meine Gebote sind wahr und treu“.