Dienstag, 30. September 2025

Mögen deine Diener, ..., mit deiner Macht ausgerüstet sein

 

Tempelbesucher gehen nach Hause
(Bild: Quelle)

“Und wir bitten dich, heiliger Vater: Mögen deine Diener, wenn sie aus diesem Haus hinausgehen, mit deiner Macht ausgerüstet sein, und mögen dein Name auf ihnen sein und deine Herrlichkeit rings um sie sein und deine Engel Verantwortung über sie haben;” (Lehre und Bündnisse 109:22). 

Lehre und Bündnisse 109:1–42 – Betrachtung des Weihungsgebets  

1–5: Der Tempel als Stätte der Begegnung mit Christus 

Der Beginn des Weihungsgebets macht deutlich, dass der Tempel in Kirtland nicht nur aus architektonischen oder gemeinschaftlichen Gründen errichtet wurde, sondern weil er als Ort der Gottesbegegnung gedacht war. Der Hinweis, dass der Sohn des Menschen darin erscheinen möge, ist nicht nur historisch, sondern auch heute gültig: Der Tempel ist der Ort, an dem wir Christus begegnen – nicht unbedingt in sichtbarer Form, aber in geistigen Eindrücken, Eingebungen und heiliger Nähe. 

Für uns heute bedeutet das: Wann immer wir den Tempel betreten, tun wir es in dem Bewusstsein, dass er nicht einfach ein Versammlungsort ist, sondern ein Heiligtum, wo sich Himmel und Erde berühren. Die Aufforderung an uns lautet, den Tempel nicht wie ein äußeres Ritualgebäude zu betrachten, sondern als Ort persönlicher Begegnung mit dem Herrn, die uns prägt und verändert. 

6–21: Der Tempel als Haus des Gebets, des Lernens und der Ordnung 

In diesem Abschnitt entfaltet Joseph Smith, was der Tempel alles sein soll: ein Haus des Gebets, des Fastens, des Glaubens, des Lernens, der Herrlichkeit, der Ordnung und vor allem ein Haus Gottes. Für die frühen Heiligen war das revolutionär, denn sie verstanden: Der Tempel umfasst das ganze Leben – nicht nur gottesdienstliche Handlungen, sondern auch Erkenntnis, Bildung und geistiges Reifen. 

Heute werden wir hier an zwei Dinge erinnert: Erstens daran, dass der Tempel mehr ist als der Ort für bestimmte Verordnungen. Er ist eine Schule des Geistes, ein Ort, an dem wir durch den Heiligen Geist belehrt und vorbereitet werden, mit Weisheit zu handeln. Zweitens wird uns bewusst, dass der Tempel uns zur Ordnung ruft – geistliche, familiäre und persönliche Ordnung. In einer Welt, die von Chaos und Beliebigkeit geprägt ist, lernen wir im Tempel, dass Gottes Reich durch Ordnung und Gesetzmäßigkeit aufgebaut wird. 

Die Aufforderung an uns heute lautet, den Tempel nicht auf eine Funktion zu reduzieren, sondern ihn als ganzheitliche Lebensschule zu sehen: ein Ort, der uns lehrt, wie wir beten, wie wir Glauben üben, wie wir unser Leben strukturieren und wie wir göttliche Herrlichkeit erfahren. 

22–33: Schutz vor Gegnern und Stärkung der Diener 

Diese Verse wenden den Blick auf die Realität der Verfolgung, die die frühen Heiligen erlebt haben. Joseph bittet darum, dass die Diener Gottes mit Macht erfüllt werden und dass ihre Gegner beschämt werden, wenn sie nicht umkehren. Auf den ersten Blick mögen diese Worte hart erscheinen. Doch sie erinnern uns daran, dass Nachfolge Christi nicht konfliktfrei ist. Es gibt Widerstände – damals wie heute. 

In unserer Zeit erleben wir vielleicht nicht dieselbe körperliche Verfolgung wie die frühen Heiligen, aber wir spüren Widerstand in Form von Spott, Missverständnis, gesellschaftlichem Druck oder subtiler Ablehnung. Der Tempel macht uns stark, diesen Widerständen zu begegnen. Er erinnert uns daran, dass Gott uns nicht schutzlos lässt, sondern uns mit geistiger Kraft ausrüstet. 

Die Aufforderung an uns ist hier doppelt: Einerseits sollen wir uns nicht von Widerständen entmutigen lassen, sondern standhaft und vertrauensvoll bleiben. Andererseits erinnert uns dieser Abschnitt daran, dass wir auch für jene beten sollen, die uns missverstehen oder ablehnen – mit der Hoffnung, dass sie eines Tages ihr Herz öffnen. Der Tempel gibt uns Mut, beides zu tun: fest im Zeugnis zu stehen und gleichzeitig bereit zu bleiben, anderen in Liebe zu begegnen. 

34–42: Die Heiligen sollen mit Macht hinausgehen, um Israel zu sammeln 

In diesen Versen klingt eine Vision auf, die weit über die Mauern des Kirtland-Tempels hinausweist: Die Heiligen sollen hinausgehen, mit geistiger Macht ausgerüstet, um die Rechtschaffenen aus allen Nationen zu sammeln. Diese Sammelarbeit ist nicht nur ein Auftrag der Vergangenheit, sondern bleibt der Herzschlag der Kirche bis heute. 

Für uns bedeutet das konkret: Der Tempel ist nicht das Ziel der Jüngerschaft, sondern die Quelle. Wer dort Kraft empfängt, wird ausgesandt, um in seiner Umgebung Zeugnis zu geben – sei es in der Familie, in der Gemeinde oder in der Welt. Die Verbindung zwischen Tempel und Mission ist untrennbar: Missionare verkünden die Botschaft, und der Tempel versiegelt die Verheißungen. 

Eine weitere Aufforderung in diesem Abschnitt richtet sich an die Familien. Der Tempel ist der Ort, an dem Kinder und Nachkommen in den Wegen des Herrn bestärkt werden. Heute sind wir eingeladen, unsere Familien nicht nur mit irdischen Dingen auszustatten, sondern sie geistig zu nähren, sodass kommende Generationen in der Wahrheit bleiben. 

Die Botschaft ist klar: Wer den Tempel besucht, empfängt nicht nur persönliche Stärkung, sondern auch Verantwortung, aktiv am Sammeln Israels mitzuwirken – durch Beispiel, Dienst, Zeugnis und Familiengeschichte. 

Einladungen heutiger Propheten und Apostel in Bezug auf den Tempel 

Die Lehren aus L&B 109:1–42 finden ihre Entsprechung in den klaren Einladungen, die unsere heutigen Kirchenführer uns geben: 

Präsident Russell M. Nelson betont immer wieder, dass der Tempel der Ort ist, an dem wir Christus am nächsten sind. Er sagte: „Nichts wird Ihr Leben und das Leben Ihrer Familie mehr segnen, als wenn Sie sich regelmäßig in den Tempel begeben und dort den Herrn dienen.“ Diese Einladung nimmt den Gedanken aus den Versen 1–5 auf: der Tempel als Stätte der Begegnung mit Christus. Präsident Nelson ruft uns auf, den Tempel zu einem festen Bestandteil unseres Lebens zu machen und dort persönliche Offenbarung zu empfangen. 

In Bezug auf die Verse 6–21 erinnert uns Elder David A. Bednar, dass der Tempel eine „Schule der Ewigkeit“ ist. Er erklärte: „Die Verordnungen und Bündnisse des Tempels lehren uns, wie wir das Evangelium Jesu Christi nicht nur kennen, sondern leben.“ Damit knüpft er an die Idee des Tempels als Haus des Gebets, des Glaubens und der Ordnung an. Seine Einladung ist, das, was wir im Tempel lernen, bewusst in unseren Alltag zu übertragen – damit unser Zuhause, ähnlich wie der Tempel, zu einem Haus des Gebets und der Ordnung wird. 

Für die Verse 22–33 sagte Präsident Henry B. Eyring„Die Prüfungen werden kommen. Aber diejenigen, die regelmäßig in den Tempel gehen, werden die Kraft haben, den Stürmen zu trotzen und in ihrem Glauben unerschütterlich zu bleiben.“ Seine Worte greifen den Gedanken des Schutzes auf: Der Tempel rüstet uns geistig aus, Widerstände in einer zunehmend herausfordernden Welt standzuhalten. Seine Einladung lautet, gerade in schwierigen Zeiten den Tempel nicht zu vernachlässigen, sondern ihn bewusst als geistige Festung zu suchen. 

In den Versen 34–42 geht es um das Aussenden der Heiligen und das Sammeln Israels. Präsident Nelson verbindet diese Idee immer wieder mit dem Tempel. Er sagte: „Wenn Sie Ihre Arbeit im Tempel verrichten und Ihren Vorfahren die Segnungen der Erlösung ermöglichen, tragen Sie aktiv zum Sammeln Israels bei.“ Seine Einladung lautet, Familiengeschichte und Tempelarbeit als Teil unserer Mission zu begreifen. Elder Neil L. Andersen ergänzte: „Jeder von uns hat eine einzigartige Rolle im Sammeln Israels, sei es durch Zeugnis, durch Dienst oder durch das Sichern ewiger Verbindungen im Tempel.“ 

Damit machen unsere heutigen Führer deutlich: Der Tempel ist nicht nur ein persönlicher Zufluchtsort, sondern eine Kraftquelle, die uns aussendet, das Werk Gottes in der Welt und in unseren Familien voranzubringen. 

findechristus.org

Montag, 29. September 2025

Dank sei deinem Namen, ..., der du den Bund hältst

 

Ein herrliches Licht – der Kirtland-Tempel, Darstellung von Glen S. Hopkinson
(Bild: Quelle)

“Dank sei deinem Namen, o Herr, Gott Israels, der du den Bund hältst und deinen Dienern Barmherzigkeit erzeigst, die mit ganzem Herzen untadelig vor dir wandeln” (Lehre und Bündnisse 109:1). 

Lehre und Bündnisse 109 – Historischer Hintergrund und Bedeutung des Weihungsgebets 

Als der Tempel in Kirtland am 27. März 1836 geweiht wurde, war dies ein besonderer Höhepunkt in der frühen Geschichte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Der Bau hatte enorme Opfer verlangt: die Mitglieder waren arm, vielfach verfolgt, und doch hatten sie mit ihrer Arbeitskraft, ihren Gütern und ihrem Glauben dieses erste Haus des Herrn in dieser Evangeliumszeit errichtet. Joseph Smith verfasste unter Inspiration das Weihungsgebet, das in L&B 109 überliefert ist. Dieses Gebet ist nicht nur historisches Dokument, sondern zugleich geistliches Muster für spätere Tempelweihungen und für das Beten in persönlichem Maßstab. 

Die Umstände, die zu diesem Gebet führten, offenbaren zentrale Lehren über Salbung und VollmachtVergebungErhöhung und die Natur des Gebets. Vier Punkte treten dabei besonders hervor. 

1. Salbungshandlungen schon vor der Tempelweihung (Vers 35) 

Joseph Smith betete: 

„Lass die Salbung deiner Diener mit Macht aus der Höhe auf sie gesiegelt sein.“ (L&B 109:35

Dieser Satz verweist auf Handlungen, die bereits vor der eigentlichen Tempelweihung durchgeführt wurden. Historische Berichte zeigen, dass in den Tagen vor dem 27. März 1836 im Tempel verschiedene heilige Handlungen stattfanden. Schon im Januar und Februar 1836 wurden Waschungen und Salbungen vollzogen, die als eine Vorstufe zu späteren Tempelzeremonien gelten. Am 21. Januar 1836 erlebten Joseph Smith und andere Führer bemerkenswerte Visionen und Offenbarungen, nachdem sie mit „heiligen Salbungen“ vorbereitet worden waren (vgl. History of the Church, Bd. 2, S. 379–381). 

Diese frühen Waschungen und Salbungen hatten noch nicht die volle Form, die später im Nauvoo-Tempel entwickelt wurde, doch sie standen bereits im Zusammenhang mit der Verheißung „Macht aus der Höhe“ zu empfangen (vgl. L&B 95:8–9). Die Brüder verstanden diese Handlungen als symbolische Vorbereitung auf die Ausgießung des Geistes und als Stärkung für ihre Berufung. 

Wenn Joseph in L&B 109:35 um die Siegelung dieser Salbungen mit himmlischer Macht bittet, zeigt das zweierlei: erstens das Bewusstsein, dass die physischen Handlungen ohne göttliche Bestätigung unvollständig wären; zweitens, dass die Salbung als heiliges Muster schon vor der Tempelweihung im Kirtland-Tempel verankert war und später in der Kirche zu einem festen Bestandteil des Tempeldienstes wurde. 

2. Joseph Smiths Bereitschaft zur Vergebung (Vers 50) 

Ein besonders bemerkenswerter Abschnitt des Gebets lautet: 

„Habe Erbarmen, o Herr, mit dem üblen Pöbel, der dein Volk verjagt hat, damit sie aufhören zu plündern, damit sie von ihren Sünden umkehren, sofern Umkehr zu finden ist.“ (L&B 109:50

Damit zeigt Joseph Smith eine Haltung, die über das Menschliche hinausgeht. Nur wenige Jahre zuvor war die Kirche in Missouri schwer verfolgt, geplündert und vertrieben worden (1833). Viele Heilige hatten ihr Hab und Gut verloren, manche waren misshandelt worden. Die Bitten um göttlichen Schutz und Rechtfertigung in früheren Offenbarungen (vgl. L&B 103105) hätten es verständlich erscheinen lassen, wenn Joseph hier um Strafe oder Gericht gebeten hätte. Doch er tat das Gegenteil: er flehte um Erbarmen für die Verfolger

Diese Haltung erinnert stark an Jesu Worte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23:34), und an Stephanus, der seine Mörder segnete (Apostelgeschichte 7:60). Joseph Smith zeigte hier, dass er als Prophet Jesu Christi bemüht war, denselben Geist der Feindesliebe (vgl. Matthäus 5:44) zu leben. 

Zugleich macht die Formulierung „sofern Umkehr zu finden ist“ deutlich, dass Vergebung nicht blind ist, sondern immer mit dem Angebot der Umkehr verbunden bleibt. Joseph bat Gott, den Gegnern Gelegenheit zur Reue zu geben – ein Zeugnis seines Vertrauens in die verändernde Kraft des Evangeliums. 

3. Erste Erwähnung von „Erhöhung“ im Zusammenhang mit Tempelsegnungen (Vers 69) 

Ein besonders bedeutender Vers lautet: 

„Habe Erbarmen, o Herr, mit seiner Frau und seinen Kindern, damit sie in deiner Gegenwart erhöht und von deiner hegenden Hand erhalten werden mögen.“ (L&B 109:69

Dies ist das erste Mal, dass in Lehre und Bündnisse das Wort „Erhöhung“ im direkten Zusammenhang mit Tempelsegnungen erscheint. Der Begriff deutet über die einfache Errettung hinaus: Erhöhung bedeutet, in die Gegenwart Gottes zurückzukehren und in der höchsten Herrlichkeit der celestischen Ordnung zu leben (vgl. L&B 132:19–24). 

Dass Joseph Smith diesen Ausdruck in einem Tempelweihungsgebet verwendete, macht deutlich: der Tempel ist nicht nur ein Ort des Lernens oder des Segens für dieses Leben, sondern ein Tor zur höchsten Herrlichkeit. Die Segnungen, die dort vermittelt werden, sind auf Familie, Ehe und Nachkommenschaft ausgerichtet – „Frau und Kinder“ sollen gemeinsam in der Gegenwart Gottes erhöht werden. 

Dies war ein geistlicher Wendepunkt: Von nun an stand die Vorstellung im Raum, dass der Tempel nicht nur eine Stätte für Offenbarung und Kraft ist, sondern auch das Mittel, die Fülle des Heils – die Erhöhung – zu erlangen. Spätere Offenbarungen in Nauvoo bauten auf diesem Fundament auf und führten zu den Verordnungen für Ewige Ehen und Siegelungen. 

4. L&B 109 als Mustergebet für Tempelweihungen und persönliches Beten 

Das Weihungsgebet des Kirtland-Tempels hat bleibende Bedeutung. Einerseits ist es Prototyp für alle späteren Tempelweihungen. Die Kirche hat sich daran orientiert, wenn neue Tempel in aller Welt geweiht werden: die Gebete sind inspiriert, oft von den Präsidierenden Aposteln verfasst, und enthalten Bitten um Schutz, Heiligung und Segnungen für das Volk Gottes – ganz im Geist von L&B 109

Andererseits zeigt das Gebet ein Muster für persönliches Beten

  • Es verbindet Dank für vergangene Segnungen mit Bitte um künftige Hilfe. 
  • Es bittet nicht nur für die eigenen Reihen, sondern auch für Außenstehende – sogar für Feinde. 
  • Es sucht nicht bloß weltliche Hilfe, sondern zielt auf das ewige Heil: auf Erhöhung, auf Heiligung, auf die Gegenwart Gottes. 
  • Es erkennt an, dass Segnungen nur durch Jesu Christi Sühnopfer möglich sind (vgl. L&B 109:4). 

So wird das Weihungsgebet zum Lehrstück darüber, wie Gebet aussehen kann: demütig, umfassend, auf Christus zentriert und auf ewig gültige Segnungen ausgerichtet. 

Schlußgedanke 

Das Weihungsgebet des Kirtland-Tempels bleibt ein Dokument von bleibender theologischer und geistlicher Tiefe – ein Spiegel der frühen Geschichte der Kirche und ein Fundament für das Verständnis des Tempels bis heute. 

Zum Schluss sei uns die Einladung Präsident Nelsons nahegebracht: 
Joseph Smiths Weihungsgebet für den Kirtland-Tempel ist eine Anleitung dazu, wie der Tempel Sie und mich geistig befähigt, die Herausforderungen des Lebens in diesen Letzten Tagen zu meistern. Ich lege Ihnen ans Herz, dieses Gebet, niedergeschrieben im Buch Lehre und Bündnisse, Abschnitt 109, aufmerksam zu lesen. “ 
Möge auch Ihr Herz geweckt sein, in diesem Gebet Trost, Kraft und himmlische Perspektiven zu finden – gerade in diesen Tagen, in denen wir Führung und geistige Ermächtigung so dringend benötigen. 

findechristus.org

Samstag, 27. September 2025

Beachte von nun an sorgfältiger deine Gelübde

 

Erneuerung der Gelübde beim Abendmahl
(Bild: Quelle)

“Und erhebe dich, und beachte von nun an sorgfältiger deine Gelübde, die du getan hast und noch tust, dann wirst du mit überaus großen Segnungen gesegnet werden.” (Lehre und Bündnisse 108:3). 

Lehre und Bündnisse 108:1–8 – Historischer Kontext und geistliche Lehren 

Am 26. Dezember 1835 empfing Joseph Smith eine Offenbarung für Lyman Sherman, die heute als Lehre und Bündnisse 108 überliefert ist. Diese Offenbarung ist von besonderem Wert, weil sie einen Einblick in das Verhältnis eines aufrichtigen Mitglieds der Kirche zu seinem Propheten gibt und zugleich zeigt, wie der Herr liebevoll mit den Schwächen, Sorgen und Hoffnungen Seiner Diener umgeht. Im Gegensatz zu manchen großen Visionen und weitreichenden Anweisungen in den Offenbarungen ist Abschnitt 108 sehr persönlich, fast wie ein vertrauliches Gespräch zwischen einem Gläubigen und dem Herrn. Dennoch enthält er universelle Lehren, die auch für uns heute von großer Bedeutung sind. 

Lyman Sherman – ein treuer, aber wenig bekannter Jünger Christi 

Lyman Sherman ist in der Kirchengeschichte weniger bekannt als viele seiner Zeitgenossen, doch sein Leben spiegelt die Hingabe vieler früher Heiliger wider. Er wurde 1804 in Vermont geboren und gehörte zu den ersten Mitgliedern der Kirche in Kirtland. Im Jahr 1835 war er bereits in die Ersten Siebzig ordiniert worden, einer Gruppe von Missionaren, die unter der Leitung des Kollegiums der Zwölf Apostel standen. Er diente treu und wurde später auch in das Hohepriestertum berufen. 

Interessanterweise ist Sherman auch dafür bekannt, dass er kurze Zeit nach dieser Offenbarung vom Hohen Rat in Kirtland berufen wurde, ein Teil der „Kirtland Safety Society“ – einer frühen Bank der Kirche – zu werden. Wenige Jahre später, im Dezember 1838, berief Joseph Smith ihn sogar in das Kollegium der Zwölf Apostel. Doch Sherman starb Anfang Januar 1839 plötzlich und konnte nie als Apostel ordiniert werden. Dies macht seine kurze Erwähnung in den Offenbarungen besonders bemerkenswert – sie ist gewissermaßen das bleibende geistige Vermächtnis dieses treuen Jüngers. 

Der Wunsch Shermans – Reinigung des Herzens und Führung 

Lyman Sherman kam am 26. Dezember 1835 zu Joseph Smith mit dem Wunsch, den Herrn durch Seinen Propheten zu befragen. Er fühlte, dass sein Herz und sein Leben einer erneuten Reinigung bedurften. Laut den Joseph Smith Papers bat Sherman ausdrücklich darum, zu wissen, „was er tun sollte, um dem Herrn wohlgefällig zu sein“. Dies ist bemerkenswert: Ein Mann, der bereits ein geweihter Führer und Missionar der Kirche war, suchte nicht nach einer neuen Aufgabe oder einem besonderen Titel, sondern nach innerer Reinheit und Bestätigung, dass sein Dienst angenommen sei. 

Der Herr antwortete auf diese Bitte mit einer kurzen, aber tiefgehenden Offenbarung, die reich an Zuspruch, Korrektur und Ermutigung ist. 

Die Botschaft der Offenbarung – Zuspruch, Ermahnung und Auftrag 

Ein zentrales Prinzip der Offenbarung ist die Vergebung der Sünden als Ausgangspunkt für weiteren Dienst. Sherman erhielt zunächst die Zusicherung, dass seine Sünden vergeben seien, bevor er zu weiteren Aufgaben aufgefordert wurde. In den Evangelien begegnen wir oft der Gewohnheit Jesu, Sündenvergebung an den Anfang Seiner Begegnungen zu stellen, bevor Er weitere Segnungen spendet. Ein prägnantes Beispiel findet sich in Markus 2:5: Als der Gelähmte durch das Dach zu Ihm gebracht wird, sagt Jesus nicht zuerst: „Steh auf und geh!“, sondern: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Erst danach heilt Er ihn körperlich. 

Anschließend wird Sherman ermahnt, weiterhin treu und eifrig in seinen Aufgaben zu sein und seine Brüder zu stärken. Hier zeigt sich die geistliche Logik des Reiches Gottes: Wer selbst gereinigt und gestärkt wird, übernimmt Verantwortung, andere zu unterstützen (vgl. Lukas 22,32). Das gilt nicht nur für persönliche geistliche Entwicklung, sondern auch für den Dienst an der Gemeinschaft und der Kirche. 

Sherman wird außerdem angewiesen, aktiv am Aufbau der Kirche mitzuwirken, zu reden und zu predigen, wie es durch den Geist eingegeben wird. Geistliche Reinigung soll nicht zum Rückzug führen, sondern zu verstärktem Engagement im Werk des Herrn. Wer seine Berufung erfüllt, wird durch göttliche Kraft gestärkt und vor Furcht bewahrt, eine universelle Wahrheit für jeden Jünger Christi. 

Geistliche Anwendung für uns heute 

Die Offenbarung an Lyman Sherman ist zwar individuell, enthält aber zeitlose Grundprinzipien, die auf jeden Jünger Christi übertragbar sind: 

  • Demütiges Fragen führt zu göttlicher Antwort: Sherman kam mit ehrlichem Wunsch zu wissen, was er tun sollte. Auch wir sind eingeladen, den Herrn um Führung zu bitten, sei es im Gebet, durch die Schriften oder durch lebende Propheten (vgl. Jakobus 1:5). 
  • Vergebung ist real und gegenwärtig: Sherman erhielt Zusicherung, dass seine Sünden vergeben sind. Das zeigt, dass göttliche Vergebung kein theoretisches Konzept ist, sondern eine tatsächliche, gegenwärtige Zusage (vgl. L&B 58:42). 
  • Gestärkt werden, um andere zu stärken: Wer geistig erneuert wird, soll diese Kraft weitergeben und andere ermutigen (vgl. 1. Thessalonicher 5:11). Treue im Dienst Gottes ist nie rein privat. 
  • Predigen nach dem Geist: Sherman wurde ermutigt, im Geist zu sprechen, wann immer sich Gelegenheit bietet. Auch heute gilt: Zeugnis geben sollte nicht aus eigener Kraft, sondern durch Eingebung des Heiligen Geistes geschehen (vgl. Lehre und Bündnisse 100:5–6). 
  • Furchtlosigkeit durch Treue: Der Herr versprach Sherman, ihn von Furcht zu befreien. Wahre Treue und gelebter Glaube vertreiben Angst und Unsicherheit (vgl. 1. Johannes 4:18). 

Ein Vermächtnis in wenigen Worten 

Obwohl Lyman Sherman kein Apostel im aktiven Dienst wurde und sein Leben relativ früh endete, ist sein geistiges Vermächtnis durch L&B 108 erhalten geblieben. Wir sehen darin das Bild eines Mannes, der nicht nach Macht oder Ansehen suchte, sondern nach Reinheit und göttlicher Führung. Sein Beispiel erinnert uns daran, dass im Reich Gottes nicht Titel oder Amt die entscheidende Rolle spielen, sondern das Herz, das sich demütig Gott zuwendet. 

Schlussgedanken 

L&B 108:1–8 ist ein Zeugnis von der Nähe des Herrn zu den Einzelnen. Es zeigt, dass Er aufrichtiges Fragen beantwortet, Vergebung schenkt, Mut gibt und uns zu treuem Dienst ermutigt. Auch wenn diese Offenbarung an einen einzelnen Mann erging, lädt sie uns alle ein, unsere eigene Bereitschaft zu prüfen: Suchen wir wie Sherman die Reinigung des Herzens? Sind wir willig, gestärkt zu werden, um andere zu stärken? Und vertrauen wir darauf, dass der Herr uns von Angst befreien und mit Kraft ausstatten wird? 

Wer diesen Prinzipien folgt, erfährt, dass Gott nicht nur die großen Führer, sondern auch den demütigen Jünger sieht – und dass selbst eine kurze Offenbarung, acht Verse lang, ein ganzes Leben prägen kann. 

findechristus.org

Freitag, 26. September 2025

Mit allem Eifer das Amt ausüben

 

Eine Ratsversammlung
(Bild: Quelle)

“Darum lasst nun einen jeden seine Pflicht lernen und mit allem Eifer das Amt ausüben lernen, zu dem er bestimmt worden ist.” (Lehre und Bündnisse 107:99). 

Lehre und Bündnisse 107:68–100 – Weisheit, Ordnung und Gleichgewicht im Priestertum 

Der letzte Teil von Abschnitt 107 schließt die große Priestertumsoffenbarung ab. Nachdem in den Versen 1–32 die beiden Priestertümer erklärt wurden und in den Versen 33–67 die Ämter und Räte beschrieben sind, wendet sich der Herr hier den Prinzipien der Leitung, der Entscheidungsfindung und dem Ausgleich zwischen geistiger und administrativer Verantwortung zu. Diese Verse zeigen, wie das Reich Gottes auf Erden in Ordnung geführt werden soll – „denn mein Haus ist ein Haus der Ordnung, spricht Gott, der Herr, und nicht ein Haus der Verwirrung“ (vgl. L&B 132:8). 

Weisheit und Rat in der Leitung (Verse 68–71) 

Die Offenbarung beginnt hier mit einer wichtigen Richtlinie: Entscheidungen in der Kirche sollen „in aller Rechtschaffenheit, Heiligkeit und Demut, mit Langmut und Glauben und mit Tugend und Erkenntnis, gemäß dem, was dem Herrn wohlgefällig ist“ (Vers 30), getroffen werden. In den Versen 68–71 wird dies auf die Rolle der Pfähle und Gemeinden angewandt. Der Herr gebietet, dass örtliche Angelegenheiten durch die jeweiligen Räte bearbeitet werden und dass weise Männer in die Leitung berufen werden. 

Diese Betonung von Weisheit erinnert an die biblische Tradition: Schon Mose beriet sich mit Jethro, der ihm riet, weise Männer über Tausende, Hunderte, Fünfzige und Zehnen einzusetzen (2. Mose 18:21–22). Genauso betont Abschnitt 107, dass Leitung nicht allein getragen werden soll, sondern durch Räte und Zusammenarbeit. Elder M. Russell Ballard sagte in einer Generalkonferenz: „In der Kirche Jesu Christi regieren wir niemals alleine. Wir beraten uns, und in Räten empfangen wir Inspiration“ (Konferenz, April 1994). Diese Struktur schützt vor Machtmissbrauch und stellt sicher, dass der Geist Gottes in kollektiver Weisheit wirkt. 

Gleichgewicht zwischen Priestertumsämtern (Verse 72–76) 

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Verse ist die Balance zwischen den verschiedenen Priestertumsämtern. Vers 72 erklärt, dass die Bischöfe „Richter in Israel“ sein sollen, die mit Unterscheidungsvermögen und Milde handeln. Der Bischof trägt dabei sowohl eine geistige als auch eine zeitliche Verantwortung. 

In den Versen 73–76 wird deutlich, dass Bischöfe nicht unabhängig handeln, sondern dem Rat der Hohenpriester und letztlich der höheren Führung der Kirche unterstellt sind. Dies schafft ein Gleichgewicht: Kein Amt im Priestertum ist „größer“ als das andere, sondern jedes wirkt im Zusammenspiel. Präsident Dallin H. Oaks erklärte: „Das Priestertum ist kein Instrument persönlicher Macht, sondern ein Werkzeug im Dienst an Gott und an seinen Kindern“ (Generalkonferenz, Oktober 2019). Dieses Verständnis verhindert Hierarchie im weltlichen Sinn und betont die dienende Natur des Priestertums. 

Der Hohe Rat und die Siebziger (Verse 77–84) 

In diesen Versen beschreibt der Herr die Aufgabe des Hohen Rates der Kirche und die Berufung der Siebziger. Der Hohe Rat ist nach Vers 78 ausdrücklich dazu bestimmt, „schwierige Fragen zu entscheiden, die in der Kirche auftreten und die nicht durch die Räte eines Bischofs oder durch die Richter an deren Ort entschieden werden können“. Damit ist klar, dass der Hohe Rat für besonders gewichtige Angelegenheiten zuständig ist, die über die örtliche Ebene hinausgehen. 

Später folgt in Vers 81 eine bemerkenswerte Klarstellung: „Es gibt niemanden, der der Kirche angehört, der von diesem Rat der Kirche ausgenommen ist.“ Das bedeutet, dass die Zuständigkeit des Hohen Rates alle Mitglieder der Kirche einschließt – ungeachtet von Stellung, Berufung oder Verantwortung. Dieses Prinzip unterstreicht die Gleichheit aller Mitglieder vor der Ordnung des Priestertums: niemand ist von der Rechenschaft gegenüber der Kirche ausgenommen. 

So entsteht ein ausgewogenes Bild: Der Hohe Rat soll schwierige und gewichtige Fragen klären (V. 78) und seine Vollmacht gilt universell innerhalb der Kirche (V. 81). In Verbindung mit den Siebzigern, die in den Versen 82–84 als besondere Missionare für die Völker der Erde beschrieben werden, zeigt sich das Prinzip, dass das Priestertum sowohl ordnend in der Kirche als auch bezeugend in der Welt wirkt. 

Die Aufgaben der präsidierenden Ämter (Verse 85–92) 

In diesen Versen beschreibt der Herr detailliert die Aufgaben derjenigen, die in den verschiedenen Ämtern des Priestertums präsidieren. Ein Präsident über Diakone, Lehrer oder Priester soll nicht nur eine organisatorische Funktion ausüben, sondern hat die Pflicht, mit seinen Brüdern zu Rate zu sitzen, sie in ihren Aufgaben zu unterweisen und so für geistiges Wachstum zu sorgen (Verse 85–87). 

Besonders hervorgehoben wird das Amt des Bischofs, der als Präsident des Aaronischen Priestertums über die Priester präsidiert (Vers 88). Damit wird deutlich, dass der Bischof nicht nur für die zeitlichen Belange der Gemeinde zuständig ist, sondern auch eine wichtige geistliche Funktion im Zusammenhang mit dem Priestertum Aarons trägt. 

Auch im Melchisedekischen Priestertum gibt es präsidierende Ämter: Der Präsident über die Ältesten präsidiert über 96 Älteste und hat ebenfalls die Aufgabe, sie zu lehren und mit ihnen zu beraten (Vers 89). Im Unterschied dazu wird in Vers 90 betont, dass die Präsidentschaft der Siebziger eine andere Berufung hat – nämlich in alle Welt zu reisen und das Evangelium zu verkünden. 

Der Höhepunkt dieser Passage ist jedoch Vers 91–92: Der Präsident des Hohen Priestertums, also der Präsident der ganzen Kirche, soll „wie Mose“ sein – ein Prophet, Seher, Offenbarer, Übersetzer und Träger aller Gaben Gottes. Hier wird das Amt des Propheten und Präsidenten der Kirche in seiner einzigartigen Stellung und göttlichen Berufung beschrieben. 

Für uns heute wird damit klar: Jede Führungsaufgabe in der Kirche – ob im Diakonat oder im Amt des Propheten – ist auf Unterweisung, Rat, geistliches Wachstum und Dienst ausgerichtet. Autorität bedeutet im Reich Gottes immer Verantwortung vor Gott und den Menschen. 

Ordnung und Ausgleich in allen Dingen (Verse 93–100) 

Der Abschnitt endet mit einer Betonung von Ordnung und Zusammenarbeit innerhalb der Kirche. In den Versen 93–100 zeigt der Herr, dass es bei allen Priestertumsämtern und Räten nicht um persönliche Überordnung, sondern um gegenseitige Ergänzung und Zusammenarbeit geht. Jede Berufung hat ihre spezifische Aufgabe, und die verschiedenen Ämter wirken zusammen, um die Kirche in Rechtschaffenheit zu führen. 

Besonders hervorzuheben ist Vers 99
„Darum lasst nun einen jeden seine Pflicht lernen und mit allem Eifer das Amt ausüben lernen, zu dem er bestimmt worden ist.“ 
Hier wendet sich die Offenbarung direkt an jedes Mitglied: Priestertumsvollmacht ist nicht nur eine Lehre für die Kirchenleitung, sondern betrifft jeden Diener des Herrn in seinem Verantwortungsbereich. 

Dieser Vers hat zeitlose Gültigkeit. Paulus schrieb an die Korinther, dass die Kirche wie ein Leib sei, in dem jedes Glied seine Funktion erfüllt (1. Korinther 12:12–27). Ebenso ruft Abschnitt 107 uns dazu auf, unsere Aufgabe treu zu erfüllen, egal wie groß oder klein sie erscheint. Präsident Gordon B. Hinckley fasste dies einmal zusammen: 
„Sei in deiner Berufung treu, wie unscheinbar sie auch erscheinen mag. Im Werk des Herrn ist keine Berufung unbedeutend“ (Generalkonferenz, Oktober 1995). 

Anwendung für heute 

Für heutige Mitglieder enthält dieser Abschnitt mehrere Schlüsselgedanken: 

  1. Leitung geschieht in Räten – Entscheidungen werden im Geist der Einigkeit getroffen. 
  1. Es gibt Ausgleich zwischen den Ämtern – niemand steht über dem anderen; jedes Priestertum wirkt im Zusammenspiel. 
  1. Treue in der eigenen Berufung – jeder Einzelne ist aufgefordert, seine Pflicht gewissenhaft zu erfüllen. 
  1. Einheit durch den Heiligen Geist – wahre Einstimmigkeit entsteht, wenn der Geist Gottes Zeugnis gibt. 

Diese Prinzipien sind nicht nur auf Kirchenstrukturen anwendbar, sondern auch auf Familie, Beruf und persönliche Nachfolge Christi. Überall, wo wir Verantwortung tragen, können wir die Weisheit des Rates, die Demut des Dienens und die Einheit im Geist suchen. 

findechristus.org

Donnerstag, 25. September 2025

Sie werde bis zum Ende der Erde bewahrt bleiben

 

Aaron wurde von Mose zum Aaronischen Priestertum ordiniert
(Bild: Quelle)

“von Adam an Set, der im Alter von neunundsechzig Jahren von Adam ordiniert wurde und drei Jahre vor seinem (Adams) Tod von ihm gesegnet wurde und durch seinen Vater von Gott die Verheißung empfing, seine Nachkommenschaft werde die vom Herrn erwählte sein und sie werde bis zum Ende der Erde bewahrt bleiben;” (Lehre und Bündnisse 107:42). 

Lehre und Bündnisse 107:33-67 – Organisation des Priestertums und geistliche Ordnung 

Die Zwölf Apostel – ein Rat gleich dem der Ersten Präsidentschaft (Verse 33–35) 

In den Versen 33–35 wird die Vollmacht und Rolle der Zwölf Apostel beschrieben. Sie werden „einem reisenden Hohen Rat gleichgestellt, die die Schlüssel besitzen, in allen Nationen alle Angelegenheiten der Kirche zu ordnen“. Das bedeutet, dass ihre Aufgabe nicht auf eine bestimmte Gemeinde beschränkt ist, sondern weltumspannend gedacht ist. Sie handeln „unter der Leitung der Ersten Präsidentschaft“, haben aber dennoch „die gleichen Schlüssel“, um das Evangelium zu verkünden und die Kirche zu ordnen. 

Steven C. Harper weist darauf hin, dass dieser Gedanke 1835 besonders wichtig war, weil die Kirche begann, sich über die Grenzen von Kirtland und Missouri hinaus auszubreiten. Die Zwölf waren gewissermaßen „Missionare mit höchster Vollmacht“, die das Werk global voranbringen sollten. Heute erleben wir, wie diese prophetische Struktur erfüllt wird: Die Zwölf reisen in alle Welt, sie berufen Führer, geben Anweisungen und stärken die Heiligen. 

Ein biblisches Vorbild findet sich in Apostelgeschichte 1, wo die Zwölf mit der Berufung des Matthias wieder komplettiert werden (Judas war ja ausgeschieden). Schon damals waren die Zwölf als Zeugen für die Welt gedacht, nicht nur für Jerusalem. 

Die Siebziger – zur Unterstützung der Zwölf (Verse 34–38) 

In den Versen 34–38 wird die Rolle der Siebziger erklärt: Sie sollen den Zwölf als „besondere Zeugen für die Heiden und in allen Nationen“ dienen. Ihre Vollmacht ist „geringer“ als die der Zwölf, aber doch von entscheidender Bedeutung, weil sie die Ausbreitung des Evangeliums in die Breite tragen. 

Joseph Smith erklärte 1835, dass die Siebziger besonders für die Missionsarbeit bestimmt seien, „immer unterwegs, um die Völker zu belehren“ (vgl. Teachings of the Prophet Joseph Smith, S. 108). Das entspricht auch der biblischen Grundlage: Lukas 10 berichtet von den „anderen siebzig“, die der Herr aussandte, „vor seinem Angesicht her in alle Städte und Orte, wohin er kommen wollte“. 

Heute haben die Siebziger eine globale Funktion: Präsidierende Autoritäten, Gebietssiebziger und ihre Kollegien arbeiten eng mit den Zwölf zusammen, um die Kirche in allen Teilen der Welt zu leiten. Elder Quentin L. Cook erklärte dazu: „Die Siebziger sind dazu berufen, Zeugen für Christus zu sein und unter der Leitung der Zwölf zu dienen“ (Generalkonferenz, April 2013). 

Das hohe Priestertum und die Hohen Räte (Verse 39–52) 

Die Verse 39–52 ordnen das Amt des Hohenpriesters und die Rolle der Hohen Räte ein. Ein „Hoher Rat“ in einem Pfahl der Kirche hat die Aufgabe, Recht zu sprechen und in Fragen der Kirchenordnung zu handeln. Diese Struktur wurde bereits 1834 in Kirtland etabliert und half, Konflikte und Disziplinarfragen zu ordnen. 

Doctrine and Covenants Central weist darauf hin, dass diese frühen Hohen Räte ein Vorbild für heutige Pfahlhohe Räte sind. Ihre Aufgabe ist es, die Last der Leitung von den Schultern der Bischöfe und Pfahlpräsidenten zu nehmen und beratend sowie richtend mitzuwirken. 

Das Prinzip, das hier deutlich wird, ist Ratsarbeit: Entscheidungen werden nicht im Alleingang, sondern im Gremium getroffen, „nach dem Geist der Offenbarung“. Das spiegelt sich auch in Sprüche 11:14 wider: „Wo keine Führung ist, kommt das Volk zu Fall; wo aber viele Ratgeber sind, da ist Heil.“ 

Das Amt des Bischofs (Verse 68, hier bis Vers 67 vorbereitet) 

Auch wenn die detaillierte Beschreibung des Bischofsamtes erst in den folgenden Versen erfolgt, wird hier bereits die Grundlage gelegt: Das Aaronische Priestertum mit seinen Ämtern dient der äußeren Ordnung, den zeitlichen Angelegenheiten und der Vorbereitung auf das höhere Priestertum. 

In Vers 68 heißt es dann (über den hier behandelten Abschnitt hinaus), dass das Bischofsamt die Führung im Aaronischen Priestertum ist. Dies baut direkt auf den Versen 33–67 auf, in denen die Struktur des Melchisedekischen Priestertums entfaltet wird. 

Einheit in den Räten – Entscheidungen nach dem Willen Gottes (Verse 27–31 als Vorbereitung, 33–67 in Anwendung) 

Ein Schlüsselgedanke dieser Verse ist, dass alle Räte „in Einmütigkeit und Rechtschaffenheit“ handeln sollen. Das betrifft die Erste Präsidentschaft, die Zwölf, die Siebziger und die Hohen Räte. Keiner hat das Recht, in Isolation oder Selbstherrlichkeit zu handeln. Vielmehr bestätigt der Herr: „Jede Entscheidung dieser Räte muss in Einmütigkeit getroffen werden“ (vgl. L&B 107:27). 

Diese Lehre wird in den Versen 33–67 weiter konkretisiert, indem die jeweiligen Räte ihre Rollen zugewiesen bekommen. Das sichert eine Balance zwischen Autorität und gemeinschaftlicher Führung. Elder M. Russell Ballard hat wiederholt betont, dass Ratsarbeit ein göttliches Prinzip ist: „In der Kirche Jesu Christi gibt es keinen Platz für einsame Führer. Wir handeln in Räten, damit der Wille des Herrn deutlicher erkannt wird“ (Generalkonferenz, April 1994). 

Geistliche Bedeutung für heute 

Die Ordnung der Verse 33–67 zeigt, dass Autorität in der Kirche nicht der Machtentfaltung dient, sondern der geistlichen Stärkung des Volkes Gottes. Die Zwölf und die Siebziger sind heute weltweit tätig, um Zeugnis von Christus abzulegen. Die Pfahlhohen Räte und Bischöfe tragen Verantwortung vor Ort, um die Kirche zu führen, zu richten und zu segnen. 

Für uns als Mitglieder bedeutet das, dass wir uns in diese Ordnung einfügen und sie mittragen. Auch in unseren Familien und Gemeinden gilt das Prinzip: Entscheidungen sollen im Rat, im Gebet und unter dem Einfluss des Geistes getroffen werden. Das Priestertum wirkt immer in Harmonie mit dem Geist des Herrn. 

Ein besonderes Beispiel ist Vers 35: Die Zwölf haben „die gleichen Schlüssel wie die Erste Präsidentschaft“. Das zeigt, dass der Herr Vorsorge für Kontinuität getroffen hat. Wenn ein Präsident der Kirche stirbt, übernehmen die Zwölf in geordneter Weise die Führung, bis eine neue Erste Präsidentschaft eingesetzt wird. Dieses Muster hat sich seit Joseph Smith bewährt und gibt uns Sicherheit, dass der Herr seine Kirche lenkt. 

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Mittwoch, 24. September 2025

Die Schlüssel aller geistigen Segnungen

 

(Bild: Quelle)

“Die Macht und Vollmacht des höheren oder Melchisedekischen Priestertums ist es, die Schlüssel aller geistigen Segnungen der Kirche innezuhaben” (Lehre und Bündnisse 107:18). 

Lehre und Bündnisse 107:1-32 – Die Vollmacht des Herrn auf Erden 

Die ersten zweiunddreißig Verse von L&B 107 legen ein theologisches Fundament, das für das Verständnis der göttlichen Vollmacht auf Erden unverzichtbar ist. In ihnen wird nicht nur zwischen zwei Priestertümern unterschieden, sondern auch erklärt, welche Segnungen und Schlüssel damit verbunden sind. Darüber hinaus geben sie Einblick in die Organisation der Kirche durch Räte und Kollegien, deren Entscheidungen in Einstimmigkeit erfolgen sollen. Der Abschnitt zeigt damit, dass die Kirche Jesu Christi keine menschliche Gründung ist, sondern dass sie von Anfang an durch himmlische Ordnung, Vollmacht und Weisung geführt wird. 

Zwei Arten des Priestertums (Verse 1–6) 

Die Offenbarung beginnt mit einer grundlegenden Feststellung: „Es gibt in der Kirche zwei Priestertümer, nämlich das Melchisedekische und das Aaronische, oder Levitische“ (L&B 107:1). Diese Unterscheidung knüpft an biblische und buch-mormonische Traditionen an. Das Melchisedekische Priestertum trägt seinen Namen, weil Melchisedek „so großen Glauben ausübte, dass er durch die Macht seines Glaubens den Himmel und die Erde bewegte“ (vgl. Alma 13:17–18). In L&B 107 wird erklärt: „Warum es das Melchisedekische Priestertum genannt wird, ist, weil Melchisedek so großen Glauben ausübte“ (Vers 2). Ursprünglich hieß es „das Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes“ (Vers 3), doch um „die häufige Wiederholung des Namens des Sohnes Gottes zu vermeiden“ (Vers 4), wurde es nach Melchisedek benannt. 

Das Aaronische Priestertum, oder auch das Levitische Priestertum genannt, wird hingegen als „untergeordnetes Priestertum“ bezeichnet (Vers 6). Es enthält „den Schlüssel des Dienstes von Engeln und des Vorbereitenden-Evangeliums“ (Vers 20). Während das Melchisedekische Priestertum die Fülle des Evangeliums verwaltet, bereitet das Aaronische Priestertum auf höhere Segnungen vor. Joseph Smith lehrte, dass diese zwei Ordnungen zusammen den Bau des Reiches Gottes ermöglichen: Das eine führt in die Gegenwart Gottes, das andere legt das Fundament der Vorbereitung durch Umkehr, Taufe und äußere Verordnungen (vgl. Teachings of the Prophet Joseph Smith, S. 166). 

Die Unterscheidung der beiden Priestertümer bedeutet somit, dass der Herr eine göttliche Ordnung geschaffen hat, die sowohl Vorbereitung als auch Vollendung umfasst. Für uns heute heißt das: Jeder Dienst im Reich Gottes hat seinen Platz und seine Vollmacht. Junge Männer, die das Aaronische Priestertum tragen, üben nicht nur kleine Aufgaben aus, sondern erfüllen eine Schlüsselrolle in der Vorbereitung der Heiligen auf die Segnungen des Melchisedekischen Priestertums. 

Die Vorzüge des Melchisedekischen Priestertums (Verse 18–19) 

Besonders aufschlussreich ist die Beschreibung der Segnungen, die mit dem Melchisedekischen Priestertum verbunden sind: „den Vorzug zu genießen, die Geheimnisse des Himmelreichs zu empfangen, den Himmel aufzuschließen, die Gegenwart Gottes des Vaters zu sehen und das Angesicht Jesu Christi zu schauen“ (L&B 107:19). Diese Verheißung ist bemerkenswert, weil sie zeigt, dass das Priestertum nicht bloß Verwaltung ist, sondern Zugang zu geistigen Realitäten eröffnet. 

Die „Geheimnisse des Himmelreichs“ bedeuten hier nicht geheime Lehren, sondern Offenbarungen, die nur durch den Heiligen Geist empfangen werden können. Schon im Buch Mormon erklärt Alma: „Es sind viele, die so große Glauben gehabt haben, dass sie unaussprechliche Dinge sahen“ (Ether 12:19). Im Neuen Testament spricht Paulus von „Geheimnissen Gottes“ (1. Korinther 4:1), die den Dienern Christi anvertraut sind. 

Für uns heute bedeutet diese Verheißung, dass das Melchisedekische Priestertum nicht nur ein Amt ist, sondern eine Einladung, durch Rechtschaffenheit und Glauben Zugang zu Offenbarung und zur Gegenwart Gottes zu finden. Präsident Russell M. Nelson betonte: „Wenn du das Priestertum trägst, dann trägst du nicht nur einen Titel. Du trägst die Verantwortung, Gottes Kinder zu segnen und Offenbarung für dein Leben und deinen Dienst zu empfangen“ (General Conference, April 2016). 

Die Schlüssel des Aaronischen Priestertums (Vers 20) 

Vers 20 ergänzt: „Das Macht und die Vollmacht des Aaronischen Priestertums ist, die Schlüssel des Dienstes von Engeln innezuhaben und die äußerlichen Verordnungen zu vollziehen, den “Buchstaben des Evangeliums”, die Umkehr von Sünden und die Taufe zur Vergebung der Sünden zu verwalten, in Übereinstimmung mit den Bündnissen und Geboten.“ 

Diese Formulierung ist einzigartig: Sie verheißt den Priestern und Diakonen, dass sie in besonderer Weise mit der Hilfe von Engeln verbunden sind. Schon im Buch Mormon heißt es: „Engel dienen den Menschen, die einen starken Glauben und einen festen Sinn haben“ (Moroni 7:29-30). Präsident Dallin H. Oaks erklärte: „Wenn junge Männer das Aaronische Priestertum tragen, haben sie eine ganz reale Verbindung mit der Macht des Himmels. Sie üben Vollmacht in Verordnungen aus, die alle auf das Melchisedekische Priestertum vorbereiten“ (General Conference, April 2014). 

Die „äußerlichen Verordnungen“ – wie Taufe und Abendmahl – sind damit nicht äußerlich im Sinne von nebensächlich, sondern im Sinn von sichtbar und grundlegend. Sie öffnen die Tür zu den inneren, höheren Segnungen, die im Melchisedekischen Priestertum liegen. Für uns heute bedeutet das, dass auch die scheinbar einfachen Dienste – das Spenden des Abendmahls, das Austeilen von Brot und Wasser – ein äußerst heiliger Akt sind, der Engel und göttliche Gegenwart mit sich bringt. 

Die Räte und Kollegien des Priestertums (Verse 21–32) 

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Verse liegt auf den Gremien, die die geistige Autorität der Kirche ausmachen. Ab Vers 21 wird das „Hohepriestertum nach der Ordnung Melchisedeks“ beschrieben, das in der Kirche durch das Kollegium der Zwölf, die Siebziger und den Hohen Rat repräsentiert wird. Diese Kollegien bilden gemeinsam die Führung, in der die Autorität des Herrn auf Erden ausgeübt wird. 

Besonders bemerkenswert ist die Betonung auf Einstimmigkeit: „Und alle Dinge sollen durch Einstimmigkeit im Rat beschlossen werden, und das soll durch die Stimme des Kollegs oder der Mehrheit des Kollegs geschehen“ (L&B 107:27). Vers 30 führt aus: „Die Entscheidungen des Kollegiums der Hohen Räte oder des Hohen Rates im Zion sollen einstimmig getroffen werden, damit die Entscheidungen vollkommen sein können.“ 

Diese Weisung bedeutet, dass geistliche Autorität nicht autokratisch ausgeübt wird, sondern durch Beratung, Demut und das Bemühen, den Willen des Herrn gemeinsam zu erkennen. Präsident Gordon B. Hinckley bezeugte: „Ich habe an Sitzungen der Ersten Präsidentschaft und des Kollegiums der Zwölf teilgenommen, und ich sage Ihnen: Entscheidungen werden nicht getroffen, bis Einstimmigkeit erreicht ist. Das ist die Art und Weise des Herrn“ (General Conference, April 1994). 

Für uns heute ist dieses Prinzip nicht nur in der obersten Kirchenleitung gültig, sondern auch in Pfahl- und Gemeinderäten. Entscheidungen werden im Rat getroffen, nicht allein. Das macht die Kirche zu einer Kirche der Ordnung, in der die Macht Gottes durch Räte ausgeübt wird, die gemeinsam nach dem Geist suchen. 

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Dienstag, 23. September 2025

In der Kirche gibt es zwei Priestertümer

 

Petrus, Jakobus und Johannes übertragen das höhere Priestertum
(Bild: Quelle)

“In der Kirche gibt es zwei Priestertümer, nämlich das Melchisedekische und das Aaronische, welches das Levitische Priestertum einschließt.” (Lehre und Bündnisse 107:1). 

Lehre und Bündnisse 107 – Historischer Kontext und Entstehung 

L&B 107 gehört zu den bedeutendsten Offenbarungen über das Priestertum in der Frühzeit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Der Abschnitt, wie er heute im Kanon der Heiligen Schriften steht, ist das Ergebnis einer längeren Entstehungsgeschichte und verschiedener Offenbarungen, die schließlich im Jahr 1835 zusammengeführt wurden. Sein Inhalt legt grundlegende Prinzipien über das Melchisedekische und das Aaronische Priestertum, über die Organisation von Räten und die Rolle des Hohen Priestertums dar. Um den Hintergrund dieser Offenbarung besser zu verstehen, lohnt es sich, die historischen Umstände zwischen 1831 und 1835 genauer zu betrachten. 

Die ersten Offenbarungen über das Priestertum (1831–1832) 

Schon kurz nach der Gründung der Kirche am 6. April 1830 wurde die Frage nach der Autorität und Ordnung des Priestertums drängend. Viele Gläubige stammten aus verschiedenen protestantischen Traditionen, in denen es zwar Prediger und Pastoren gab, aber kein Verständnis eines wiederhergestellten Priestertums mit göttlicher Vollmacht. Joseph Smith und Oliver Cowdery hatten bereits 1829 durch Johannes den Täufer das Aaronische Priestertum empfangen und kurz darauf von Petrus, Jakobus und Johannes das höhere Priestertum, das in dieser Zeit oft „Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes“ genannt wurde. In einer frühen Offenbarung erklärte der Herr: „Und jeder Priester wird nach der Ordnung des Sohnes Gottes genannt werden“ (vgl. L&B 107:3). Später wurde festgelegt, dass diese Ordnung nach Melchisedek benannt wird, „um die häufige Wiederholung des Namens des Sohnes Gottes zu vermeiden“ (L&B 107:4). 

Schon 1831 gab es Versammlungen, in denen das Priestertum und seine Ämter besprochen wurden. Damals aber fehlte noch eine systematische Ordnung. Viele Mitglieder wussten nicht genau, welche Aufgaben Diakone, Lehrer, Priester oder Älteste hatten. Die Offenbarungen in Kirtland und Missouri führten Schritt für Schritt zu einer Klärung. Steven C. Harper weist darauf hin, dass diese Jahre von einer „Experimentierphase“ geprägt waren, in der der Herr die Kirche allmählich über die Strukturen des Priestertums belehrte (vgl. Harper, Doctrine and Covenants Contexts, 2021). 

Die Bildung des Hohen Rates (1834) 

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur heutigen Form von L&B 107 war die Organisation des Hohen Rates in Kirtland im Februar 1834. Joseph Smith berief zwölf Männer, die als „Hoher Rat der Kirche“ fungieren sollten. Ihre Aufgabe war es, schwierige Fragen und Disziplinarfälle zu entscheiden. Die Niederschrift dieser Organisation und ihrer Regeln findet sich in Joseph Smiths History, und Teile davon wurden später in den Text von L&B 107 integriert. Damit wurde zum ersten Mal deutlich, dass die Kirche nicht nur aus einzelnen Priestertumsämtern bestand, sondern dass auch Räte von großer Bedeutung waren, in denen Entscheidungen durch gemeinsame Beratung und Einstimmigkeit getroffen wurden. 

Die Kodifizierung 1835 

Im Jahr 1835 stand die Kirche an einem entscheidenden Punkt. Die Veröffentlichung der Lehren und Bündnisse war in Vorbereitung. Dafür sollten die wichtigsten Offenbarungen gesammelt, geordnet und redaktionell bearbeitet werden. In diesem Zusammenhang wurde der heutige Abschnitt 107 zusammengestellt. Er vereint zwei größere Texte: 

  1. Ein Text von 1831, in dem die Ordnung des Priestertums und die Ämter erklärt werden (Verse 1–58). 
  1. Ein Text von 1835, der insbesondere die Aufgaben der Zwölf Apostel, der Siebziger und des Hohen Rates beschreibt (Verse 59–100). 

Die Zusammenführung dieser beiden Dokumente zu einem einzigen Abschnitt erklärt, warum der Stil teilweise wechselt. Der erste Teil wirkt wie eine Grundsatzoffenbarung über das Priestertum seit Adam, während der zweite Teil stärker organisatorisch und auf die konkrete Kirchenleitung der 1830er-Jahre bezogen ist. 

Doctrine and Covenants Central fasst dies so: „Lehre und Bündnisse 107 besteht aus mehreren miteinander verwobenen Offenbarungen, die erstmals 1835 veröffentlicht wurden. “ (Quelle). 

Theologische Bedeutung: Priestertum seit Adam 

Ein auffälliges Element von L&B 107 ist der Rückgriff auf die alttestamentliche Geschichte. Der Text erklärt: „Das Priestertum wurde von Generation zu Generation von Adam weitergegeben“ (vgl. L&B 107:40–41). Damit wird das Priestertum nicht als etwas Neues dargestellt, sondern als uralte Ordnung, die von Anfang an existierte. Im Buch Mormon findet sich ein ähnlicher Gedanke, wenn Alma von „den heiligen Ordnungen“ spricht, die „von Anfang an“ bestanden (vgl. Alma 13:1–3). 

Diese Rückführung bis zu Adam hatte in der Frühzeit der Kirche eine doppelte Bedeutung: Einerseits stärkte sie das Bewusstsein, dass die Heiligen durch Joseph Smith Zugang zu einer ursprünglichen göttlichen Ordnung erhielten, die in den Jahrhunderten verloren gegangen war. Andererseits gab sie den Priestertumsträgern ein Vorbild, indem sie Adam als „erstes Oberhaupt“ des Priestertums darstellte (vgl. L&B 107:53). 

Organisation der Zwölf und der Siebziger 

Ein weiterer historisch entscheidender Schritt war die Organisation des Kollegiums der Zwölf Apostel im Februar 1835, kurz vor der endgültigen Redaktion von L&B 107. Diese Zwölf wurden von den drei Zeugen des Buches Mormon berufen. Ihre Aufgaben wurden in den neuen Abschnitten des Jahres 1835 genau definiert: „Die Zwölf sollen als ein reisendes Ratskollegium arbeiten, das zu allen Nationen der Erde gesandt ist“ (vgl. L&B 107:23). Kurz danach wurden auch die Siebziger berufen, die als Hilfskörper der Zwölf fungieren sollten (vgl. L&B 107:25). Diese organisatorischen Entwicklungen spiegeln sich direkt im zweiten Teil des Abschnitts wider. 

Bedeutung für die frühe Kirche 

Für die Mitglieder der 1830er-Jahre war L&B 107 ein Leitfaden, wie die Kirche wachsen und zugleich in Ordnung geführt werden konnte. In einer Zeit, in der Missionsreisen nach Kanada und bald auch nach England begannen, war die Festlegung von Aufgaben entscheidend. Ohne eine klare Ordnung hätte es leicht zu Chaos kommen können. 

Auch heute gilt dieses Prinzip. Präsident Russell M. Nelson betonte: „Das Priestertum ist die Macht Gottes, die in Gerechtigkeit ausgeübt wird, um seine Kinder zu segnen. Diese Macht bringt Ordnung in das Werk des Herrn“ (General Conference, April 2016). 

Veröffentlichung 1835 in Lehre und Bündnisse 

Als die erste Ausgabe der L&B 1835 in Kirtland erschien, war Abschnitt 107 einer der umfangreichsten Texte im Buch. Er stand in direktem Zusammenhang mit der Errichtung des Hauses des Herrn in Kirtland (1833–1836), wo das Priestertum seine Vollmacht durch Endowment und Tempelverordnungen entfalten sollte. Damit war L&B 107 nicht nur eine theologische Grundsatzerklärung, sondern auch eine praktische Anleitung für die Kirchenführung im entscheidenden Jahrzehnt der frühen Wiederherstellung. 

Fazit 

Der geschichtliche Hintergrund von L&B 107 zeigt, dass dieser Abschnitt nicht auf einen einzigen Zeitpunkt zurückgeht, sondern das Ergebnis einer mehrjährigen Entwicklung ist. Beginnend mit Offenbarungen über das Priestertum im Jahr 1831, über die Organisation des Hohen Rates 1834 bis hin zur Berufung der Zwölf und Siebziger 1835, fasst L&B 107 die wachsende Erkenntnis über die Ordnung des Priestertums zusammen. Er verband alte theologische Wahrheiten – dass das Priestertum seit Adam existiert – mit den praktischen Erfordernissen einer jungen Kirche, die sich auf weltweite Missionsarbeit vorbereitete. 

Heute wie damals erinnert uns dieser Abschnitt daran, dass die Kirche Jesu Christi durch Ordnung, Räte und Priestertumsvollmacht geführt wird. Der Herr selbst fasste es in diesem Abschnitt zusammen: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein regiere; darum werde ich Räte geben (L&B 107:27-30). Dieses Prinzip bleibt ein Leitstern für die Führung der Kirche in allen Zeiten. 

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Montag, 22. September 2025

Damit ihr die Kinder des Lichts seiet

 

(Bild: Quelle)

“darum gürtet euch die Lenden, damit ihr die Kinder des Lichts seiet und jener Tag nicht über euch komme wie ein Dieb.” (Lehre und Bündnisse 106:5). 

Lehre & Bündnisse 106 – Geschichtlicher Hintergrund und Lehren für uns heute 

Historischer Hintergrund 

Am 25. November 1834 empfing Joseph Smith in Kirtland, Ohio, eine Offenbarung für Warren A. Cowdery, den älteren Bruder von Oliver Cowdery. Diese Offenbarung ist heute als L&B 106 bekannt und richtet sich zugleich an die kleine Gemeinde in Freedom, New York, wo Warren lebte. 

Warren A. Cowdery wurde vermutlich 1788 in Vermont geboren und war ein Mann mit Einfluss und Bildung: Er war Landwirt, Arzt, Postmeister und Herausgeber einer Zeitung. Als sein Bruder Oliver ihm erste Druckfahnen des Buches Mormon zeigte, öffnete er sich für den Glauben und ließ sich Ende 1831 taufen. In den folgenden Jahren war er eine der tragenden Figuren der kleinen Gemeinde in Freedom. 

Joseph Smith selbst besuchte Freedom im Herbst 1834 während seiner Reisen zur Unterstützung des Zion’s Camp. Er wohnte bei Warren und berichtete später, dort den „vollen Genuss aller zeitlichen und geistigen Segnungen“ erfahren zu haben (History of the Church, 2:174). Offenbar beeindruckt von Warrens Hingabe und dem Wunsch, nützlich zu sein im Werk des Herrn, übermittelte Joseph die Offenbarung, die ihn offiziell als präsidierenden Hohen Priester im Land Freedom einsetzte. 

Die Offenbarung ist zugleich persönlich und kirchlich bedeutsam: Sie spricht einerseits Warren Mut zu und verheißt ihm geistliche Unterstützung, andererseits definiert sie die Pflicht, wachsam zu sein und das Evangelium zu verbreiten. 

Schon ein Jahr später, im Herbst 1835, zog Warren nach Kirtland, wo er in der Druckerei der Kirche arbeitete, die Kirchenzeitschrift Messenger and Advocate mit herausgab und auch als Schreiber Joseph Smiths diente. Er gehörte zeitweise dem Hohen Rat von Kirtland an und spielte eine Rolle bei der Vorbereitung der Tempelweihe. 

Doch Warren war auch ein Mensch mit Fehlern. 1835 verfasste er einen kritischen Brief, in dem er die Zwölf Apostel wegen mangelnder Unterstützung des Tempelbaus tadelte. Dies führte zu Spannungen. Schließlich bekannte er vor dem Hohen Rat öffentlich seinen Irrtum und ließ eine Entschuldigung im Messenger and Advocate abdrucken. Damit konnte die Einheit kurzfristig wiederhergestellt werden. 

In den Jahren danach allerdings verlor Warren den Anschluss an die Kirche. Im Zusammenhang mit den Spannungen in Kirtland – finanziellen Krisen, inneren Konflikten, dem Zusammenbruch der Kirtland Safety Society – distanzierte er sich zunehmend. Spätestens 1838 war er nicht mehr aktiv Teil der Kirche. Bis zu seinem Tod im Jahr 1851 blieb er von den Hauptströmungen des wiederhergestellten Evangeliums getrennt. 

Damit steht Warren A. Cowdery exemplarisch für eine ganze Reihe von frühen Führungsmitgliedern, die große Berufungen erhielten und wichtige Beiträge leisteten, aber später durch Umstände, eigene Fehler oder äußere Konflikte den Weg der Kirche nicht mehr mitgingen. L&B 106 dokumentiert zugleich die Würde der Berufung und die Mahnung zur Demut, die jedem Diener Gottes gilt. 

Vers-für-Vers-Kommentar zu L&B 106 

Verse 1–3 
„Es ist mein Wille, dass mein Diener Warren A. Cowdery …“ – Der Herr beauftragt Warren direkt, Führungsverantwortung zu übernehmen. Damit tritt er in eine Linie von Berufungen, die wir auch in anderen Schriften sehen. Jesus ruft Simon Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes aus ihrem Fischerberuf in den geistlichen Dienst (Matthäus 4:18–22Markus 1:16–20Lukas 5:1–11). Ebenso wird der Zöllner Matthäus in Matthäus 9:9–13 berufen – ein Mann mit gesellschaftlichem Stand, ähnlich wie Warren, der Arzt und Herausgeber war. Auch im Alten Testament sehen wir bei Jona die eindringliche Berufung zum Dienst („Geh nach Ninive!“). Diese Muster zeigen: Gott ruft Menschen mitten aus ihrem Alltag, unabhängig von ihrem Beruf, in seinen Dienst. Die Betonung auf „eifrig nach dem Himmelreich und dessen Rechtschaffenheit trachten,“ mit ganzem Herzen, erinnert direkt an Matthäus 6:33

Verse 4–5 
Hier verwendet der Herr das Bild seines Kommens „wie ein Dieb in der Nacht“ – ein Motiv, das sich bereits im Neuen Testament findet (1. Thessalonicher 5:2Matthäus 24:43–44). Der Unterschied: Wer „Kinder des Lichts“ ist, wird nicht überrascht, sondern bleibt wachsam. Es geht also weniger um Furcht, sondern um geistige Bereitschaft. Paulus lehrt ebenfalls: „Wir sind nicht der Nacht noch der Finsternis“ (1. Thessalonicher 5:5). 

Vers 6 
„Freude war im Himmel, als mein Diener Warren sich meinem Zepter gebeugt …“ – Ein Bild, das an Lukas 15 erinnert: „Freude wird im Himmel sein über einen Sünder, der umkehrt“ (Lukas 15:7). Diese Parallele zeigt, wie sehr Gott die Bereitschaft zur Umkehr und Demut ehrt. 

Vers 7 
„… ungeachtet der Eingebildetheit seines Herzens werde ich ihn emporheben, insofern er sich demütigt.“ – Dieser Vers spricht offen menschliche Schwächen an, kombiniert sie aber mit der Verheißung göttlicher Erhöhung. Er erinnert an Jakob, der nach einem Ringen mit Gott von Hochmut zu Demut geführt wurde und so den neuen Namen „Israel“ erhielt. 

Vers 8 
Der Herr verheißt Warren „Gnade und Zuversicht“ und schließlich eine „Krone“ in den Wohnungen des Vaters. Diese Sprache ist vertraut aus den Sendschreiben in Offenbarung 23, wo von der „Krone des Lebens“ die Rede ist. Auch L&B 76 beschreibt ähnliche Verheißungen. Sie deuten auf eine himmlische Perspektive: Wer treu bleibt, wird nicht nur gestärkt, sondern mit ewiger Herrlichkeit gekrönt. 

Anwendung für unser Leben heute 

  1. Bereitschaft zur Berufung: Gott ruft uns alle – manchmal in unerwarteten Momenten. Wie Warren sollen wir bereit sein, unser Herz voll einzusetzen. 
  1. Wachsamkeit im Alltag: Der Aufruf, Kinder des Lichts zu sein, fordert uns auf, geistig wach zu leben: im Gebet, in den Schriften, im Dienst. 
  1. Demut statt Stolz: Auch wer gebildet und talentiert ist, bleibt angewiesen auf Demut. Der Herr erhebt uns nicht trotz, sondern wegen unserer Demut. 
  1. Himmlische Freude über Umkehr: Jede kleine Umkehr, jeder Schritt zurück zu Gott bringt Freude im Himmel – das motiviert uns, nicht aufzugeben. 
  1. Verheißene Stärke und Krone: Der Herr gibt Zuversicht, selbst in schwierigen Zeiten. Wer treu bleibt, wird eine ewige Belohnung empfangen. 

Fazit 

Lehre und Bündnisse 106 ist eine kurze, aber dichte Offenbarung. Sie verknüpft die Geschichte einer konkreten Person – Warren A. Cowdery – mit universellen geistlichen Wahrheiten: Berufung, Wachsamkeit, Demut und göttliche Belohnung. In der Geschichte Warrens erkennen wir sowohl Möglichkeiten als auch Gefahren: große Chancen, im Werk des Herrn mitzuwirken, aber auch die Notwendigkeit, dauerhaft treu zu bleiben. 

Für uns heute bedeutet diese Offenbarung eine Einladung, Kinder des Lichts zu sein – wachsam, demütig, bereit für Gottes Ruf und zuversichtlich in der Verheißung einer ewigen Krone. 

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