Freitag, 12. September 2025

Infolge ihrer Übertretungen

 

Menschheit droht "unsägliches Leid"
(Bild: Quelle)

“Ich, der Herr, habe zugelassen, dass die Bedrängnis, womit sie bedrängt worden sind, infolge ihrer Übertretungen über sie gekommen ist;” (Lehre und Bündnisse 101:2). 

Lehre und Bündniusse 101 – Historischer Hintergrund und theologische Bedeutung 

Die Offenbarung, die heute als Abschnitt überliefert ist, wurde am 16. Dezember 1833 in Kirtland, Ohio, empfangen. Der unmittelbare Anlass war die Nachricht, dass die Heiligen in Jackson County, Missouri, wenige Wochen zuvor gewaltsam aus dem Land vertrieben worden waren, das sie als Erbteil Zions betrachteten. Seit 1831 hatten die Gläubigen unter Joseph Smith die Gegend westlich von Independence, Missouri, als den „Ort der Sammlung“ und als den zukünftigen Mittelpunkt des Reiches Gottes angesehen. Dort hatten sie Land erworben, Häuser gebaut und versucht, eine Gesellschaft aufzubauen, die nach den Gesetzen Gottes lebte. 

Die Krise von 1833 

Die Spannungen mit den älteren Siedlern in Jackson County hatten sich schon früh aufgebaut. Gründe dafür waren kulturelle und religiöse Unterschiede, wirtschaftliche Konkurrenz und das schnelle Wachstum der Heiligen. Zeitgenössische Quellen berichten, dass die Heiligen für ihre religiöse Mission, ihre Organisation und ihre Einheit bewundert, aber auch misstrauisch betrachtet wurden. Antimormonische Publikationen und Versammlungen schürten Ängste, die sich im Sommer und Herbst 1833 zu offener Gewalt steigerten. 

Im Juli 1833 zerstörte ein Mob die Druckerei in Independence, in der die Evening and Morning Star herausgegeben wurde, und zwang mehrere Führer der Kirche zu einer Vereinbarung, die Hälfte der Mitglieder bis Anfang 1834 aus der Grafschaft zu entfernen. Doch als es im November tatsächlich zu gewaltsamen Übergriffen kam, wurde die Vereinbarung von den Angreifern ignoriert. Häuser wurden niedergebrannt, Vieh getötet oder gestohlen, und Männer, Frauen und Kinder wurden unter Waffengewalt vertrieben. Die meisten flohen in benachbarte Grafschaften, vor allem nach Clay County. 

Die Nachricht erreicht Kirtland 

Joseph Smith befand sich zu dieser Zeit in Kirtland, wo der Bau des Tempels in Planung war und die Führung der Kirche organisatorisch weiter ausgebaut wurde. Die erschütternden Berichte aus Missouri trafen im Dezember ein und lösten tiefe Sorge aus. Joseph Smith schrieb in Briefen, dass er Tag und Nacht für die Heiligen betete. Neben dem geistlichen Kummer stand die praktische Frage im Raum: Was sollte man nun tun, nachdem Zion gewaltsam verloren schien? 

Inhaltliche Hauptlinien der Offenbarung 

Die Offenbarung in Abschnitt 101 ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, weil sie die Katastrophe weder nur als menschliche Tragödie noch ausschließlich als ungerechtes Leid behandelt. Sie beginnt mit der Feststellung, dass das Volk des Herrn in gewissem Maß auch eigene Verantwortung für das Geschehene trägt. Fehlende Treue, Ungehorsam und mangelnde Heiligkeit hätten dazu beigetragen, dass sie „unter das Gesetz der Zucht“ gestellt wurden. Das Leid wird so nicht als sinnlos dargestellt, sondern als ein reinigender Prozess, der das Volk befähigen soll, die Segnungen Zions würdig zu empfangen. 

Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass der Herr die Leiden seines Volkes sieht und dass er sie nicht verlassen hat. Die Vertreibung ist nicht das Ende von Zion. Vielmehr verheißt die Offenbarung, dass Zion in der Zukunft wieder aufgebaut werden wird und dass die Heiligen dorthin zurückkehren dürfen, wenn die Zeit reif ist. Diese Perspektive – Leiden jetzt, aber herrliche Verwirklichung später – war für die Glaubensgemeinschaft tröstlich und mobilisierend. 

Vision vom Millennium 

Ein Abschnitt der Offenbarung beschreibt in poetischen Bildern die Zeit des tausendjährigen Friedens, wenn Christus persönlich auf der Erde regiert. Es wird ein Zustand geschildert, in dem alle Tränen abgewischt werden, in dem die Schöpfung erneuert wird und die Menschen in Sicherheit und Freude leben. Diese Darstellung steht im Kontrast zur gegenwärtigen Notlage und bietet den Gläubigen eine eschatologische Hoffnungsperspektive: Das Ziel ist nicht nur die Wiederherstellung der Siedlungen in Missouri, sondern die Errichtung eines Reiches, das über diese Zeit hinaus Bestand hat. 

Das Gleichnis vom Edlen und seinen Dienern 

Ein zentrales Bild der Offenbarung ist das Gleichnis vom Edlen, der seinen Dienern befiehlt, einen Weinberg zu pflanzen, einen Turm zu bauen und ihn zu bewachen. Die Diener pflanzen zwar die Bäume, unterlassen es aber, den Turm zu errichten. Als Feinde kommen und den Weinberg verwüsten, wird deutlich, dass es an Wachsamkeit und Gehorsam gefehlt hat. Der Edle befiehlt daraufhin, den Turm wieder aufzubauen und den Weinberg zu schützen. 

Historisch verstanden bezieht sich dieses Gleichnis auf den Aufbau Zions und den Schutz seiner geistlichen und materiellen Grundlagen. Die „Diener“ können sowohl einzelne Mitglieder als auch Führer der Kirche darstellen, die ihrer Aufgabe nicht vollständig nachgekommen sind. Zugleich ist es eine Aufforderung an alle Gläubigen, künftig wachsamer und gehorsamer zu sein, damit die Arbeit des Herrn nicht durch Vernachlässigung gefährdet wird. 

Sammlung und heilige Orte 

Die Offenbarung betont mehrfach die Notwendigkeit, dass die Heiligen sich weiterhin sammeln und ihre Gemeinschaft in geordneten, vom Herrn bestimmten Orten festigen. Auch wenn die Rückkehr nach Jackson County vorerst verschoben ist, bleibt das Prinzip der Sammlung in Kraft. Heilige Orte – sei es in Kirtland, Far West oder anderswo – sollen als Zentren geistlichen Lebens dienen. 

Politische Dimension: Die Verfassung und das Recht auf Freiheit 

Ein besonders bemerkenswerter Teil des Abschnitts würdigt die Verfassung der Vereinigten Staaten als von Gott inspiriert. Sie habe den Zweck, jedem Menschen das Recht auf Freiheit und Eigentum zu sichern und vor Unterdrückung zu schützen. Die Heiligen werden ermahnt, ihre Rechte auf legale Weise zu verteidigen, notfalls bis vor die höchsten Gerichte. Hier wird eine deutliche Verbindung zwischen göttlichem Auftrag und bürgerlicher Ordnung gezogen: Der Aufbau Zions geschieht nicht im rechtsfreien Raum, sondern in Achtung und Nutzung der rechtlichen Möglichkeiten, die Gott durch menschliche Institutionen bereitgestellt hat. 

Diese Perspektive war praktisch relevant, weil die Führer der Kirche tatsächlich planten, eine formale Petition an die Regierung Missouris und, falls nötig, an den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu richten. Dieser Teil der Offenbarung wurde als direkte Aufforderung verstanden, juristische und politische Mittel zu ergreifen, um Gerechtigkeit zu erlangen. 

Durchhalten und Beharrlichkeit 

Die letzten Verse des Abschnitts greifen das biblische Gleichnis von der hartnäckigen Witwe (Lukas 18) auf, die immer wieder zum Richter ging, bis dieser ihr Recht verschaffte. Die Heiligen sollten nicht in Resignation verfallen, sondern in beständigem, gesetzmäßigem Handeln für ihre Rechte eintreten, und dabei auf die Unterstützung Gottes vertrauen. 

Diese Ermahnung verband geistliche und praktische Ebenen: Das Ringen um Zion war sowohl ein Glaubensakt als auch ein gesellschaftlicher Prozess. Die Mitglieder mussten bereit sein, für ihre Rechte einzustehen, und gleichzeitig im Glauben fest zu bleiben, auch wenn die Erfüllung der Verheißungen noch ausstand. 

Wirkungsgeschichte 

Die Offenbarung von Dezember 1833 prägte die Haltung der Kirche in den folgenden Monaten und Jahren. Sie motivierte zur Organisation des sogenannten „Zionslagers“ im Jahr 1834, einer Expedition von über 200 Männern aus Ohio und anderen Staaten nach Missouri, um den vertriebenen Heiligen zu helfen und die Rückkehr nach Jackson County zu ermöglichen. Zwar führte das Zionslager nicht zu einer unmittelbaren Rückkehr, doch festigte es das Gemeinschaftsgefühl und bereitete die Führerschaft künftiger Apostel vor. 

Die theologische Deutung von Leid als Läuterung, die Verbindung von geistlicher und bürgerlicher Ordnung sowie die Betonung von Sammlung und heiligen Orten sind bis heute prägende Themen in der Auslegung von Abschnitt 101. Für die damaligen Mitglieder bot die Offenbarung Trost, Orientierung und konkrete Handlungsanweisungen in einer Zeit tiefer Unsicherheit. 

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Donnerstag, 11. September 2025

Sprecht die Gedanken aus, die ich euch ins Herz geben werde

 

(Bild: Quelle)

“Darum, wahrlich, ich sage euch: Erhebt eure Stimme gegenüber diesem Volk; sprecht die Gedanken aus, die ich euch ins Herz geben werde, dann werdet ihr vor den Menschen nicht zuschanden werden;” (Lehre und Bündnisse 100:5). 

Lehre und Bündnisse 100 – Historischer Kontext und geistliche Lehren 

Historischer Hintergrund 

Der Herbst 1833 war für Joseph Smith und die Kirche von Jesus Christus von Krisen und Spannungen geprägt. In Missouri spitzten sich die Konflikte zwischen den Heiligen und ihren Nachbarn in Jackson County zu. Bereits im Juli hatte es erste Übergriffe gegeben, und im August flohen die ersten Mitglieder. Im Oktober stand fest, dass die Vertreibung der Heiligen kurz bevorstand. Gleichzeitig war die Lage in Kirtland unsicher: Der abtrünnige Dr. Philastus Hurlbut, der exkommuniziert worden war, bedrohte Joseph Smith öffentlich und erklärte, er wolle „seine Hände in Josephs Blut waschen“. 

Trotz dieser Gefahren setzte die Kirche ihre Missionsarbeit fort. Im September 1833 luden Freeman und Huldah Nickerson, frisch bekehrte Mitglieder, Joseph Smith und Sidney Rigdon ein, in ihre Heimat in Perrysburg, New York, zu kommen, um Verwandte zu lehren. Die Reise dauerte etwa eine Woche, und Joseph empfand Unruhe, weil er seine Familie in einer feindseligen Umgebung zurücklassen musste. Seine Anspannung verstärkte sich durch die Berichte aus Missouri. 

Am 12. Oktober 1833, kurz nach der Ankunft in Perrysburg, schrieb Joseph in sein eigenes Tagebuch – etwas, das er selten tat – und notierte: „Ich fühle mich sehr wohl im Geist, der Herr ist mit uns, doch habe ich große Sorge um meine Familie.“ In dieser Lage gab der Herr die Offenbarung, die heute als Lehre und Bündnisse 100 bekannt ist. 

Die Offenbarung greift drei Hauptthemen auf: Erstens beruhigt sie Joseph und Sidney mit der Zusicherung, dass ihre Familien „in meinen Händen“ seien. Zweitens gibt der Herr klare Anweisungen für die Missionsarbeit: Sie sollen mit Freimut die Worte sprechen, die Er ihnen ins Herz geben werde. Drittens spricht der Herr ein „Wort betreffs Zion“: Die Stadt wird erlöst werden, aber erst nach einer Zeit der Züchtigung und Läuterung. 

Joseph hielt trotz der Not an der Verheißung fest, dass Zion nicht aufgegeben werden dürfe. Auch wenn Oliver Cowdery vorgeschlagen hatte, anderswo neu zu beginnen, bestand Joseph darauf, dass die Heiligen das Land halten sollten. Die Offenbarung stärkte sein Vertrauen, auch wenn sie nicht erklärte, wie oder wann die Erlösung kommen würde. Als er im November von der Mission zurückkehrte, konnte er im Tagebuch festhalten: „Fand meine Familie wohl, gemäß der Verheißung des Herrn, für welche Segnungen ich seinen heiligen Namen preise.“ 

Verse 1–4 – Trost in Sorge um die Familie 

Der Herr beginnt, indem er die Sorgen von Joseph und Sidney aufgreift und ihnen versichert, dass ihre Familien wohlauf sind. Diese Zusicherung ist bemerkenswert, denn sie kam nicht durch einen Boten aus Kirtland, sondern durch direkte Offenbarung. Damit macht der Herr deutlich, dass er das Wohlergehen seiner Diener und ihrer Angehörigen kennt und beschützt, auch wenn diese weit voneinander entfernt sind. 

Die Lehre für heute ist klar: Wer im Dienst des Herrn steht, darf darauf vertrauen, dass Gott in seiner Vorsehung auch für die Bedürfnisse und die Sicherheit der Familie sorgt. Dies ist keine Aufforderung zur Vernachlässigung der Familie, sondern eine Bestätigung, dass es Zeiten gibt, in denen Gott beides ermöglicht: Dienst am Evangelium und Schutz der Lieben. 

Verse 5–8 – Berufung, um das Evangelium zu verkünden 

Joseph und Sidney werden ermahnt, ohne Furcht zu sprechen, „denn ich bin mit euch“, versichert der Herr. Die Formulierung erinnert an Verheißungen aus Matthäus 28:20 („Siehe, ich bin bei euch alle Tage“) und ruft dazu auf, das Evangelium in Freimut zu verkünden. Der Herr betont, dass die Macht, zu sprechen, ihnen gegeben wird, damit die Zuhörer nicht umhin können zu erkennen, dass sie bevollmächtigt sind. 

Diese Verse zeigen auch, dass göttliche Autorität und geistige Kraft nicht nur vom Wissen abhängen, sondern vom Beistand des Geistes. Für heutige Jünger bedeutet das, dass mutiges Zeugnis immer dann besonders wirksam ist, wenn es aus einer Verbindung mit Gott kommt und nicht aus eigener Überzeugungskraft allein. 

Verse 9–11 – Aufträge für Sidney und Joseph 

Der Herr gibt jedem von ihnen eine besondere Aufgabe: Sidney soll als Sprecher auftreten, Joseph als Offenbarer und Prophet. Dieses Muster findet sich schon in Mose und Aaron (2. Mose 4:10–16), wo der eine den göttlichen Willen empfängt und der andere ihn in Worte fasst. Die Kombination verdeutlicht, dass geistige Führungsarbeit oft durch die Ergänzung verschiedener Gaben geschieht. 

Hierin liegt auch eine Lehre für die Kirche heute: Berufungen sind nicht identisch, aber sie dienen demselben Ziel. Unterschiedliche Gaben werden vom Herrn bewusst so kombiniert, dass seine Absichten besser erfüllt werden können. 

Verse 12–13 – Verkündigung unter allen Nationen 

Der Herr erweitert den Horizont und spricht davon, dass seine Diener den Nationen das Evangelium bringen sollen, beginnend bei den umliegenden Städten. Damit wird klar, dass die momentane Missionsreise nicht einfach abgebrochen werden sollte, sondern Teil eines größeren Plans war. 

Für heutige Leser ist das ein Hinweis darauf, dass Gottes Werk oft über unsere unmittelbare Sicht hinausgeht. Wir mögen nur eine kleine Aufgabe sehen – Gott aber sieht die weltweite Ausbreitung seines Reiches. 

Verse 14–17 – Die Sammlung Israels und die Zeit der Ernte 

Die Offenbarung endet mit einer Verheißung und einer Prophezeiung: Das Evangelium soll zuerst den Nationen verkündet werden, dann folgt die Sammlung Israels. Hier wird das Bild der „Ernte“ gebraucht, ein Motiv, das sich in Matthäus 9:37–38 und in Lehre und Bündnisse 4 wiederfindet. 

Diese prophetische Perspektive zeigt, dass selbst in einer Zeit akuter lokaler Bedrohung (wie in Missouri) der Herr den Blick seiner Diener auf den umfassenderen Heilsplan lenkt. Die heutige Anwendung: Auch in persönlichen oder kirchlichen Krisen sollten wir den Blick nicht ausschließlich auf die unmittelbare Not richten, sondern auf das größere Ziel – die Sammlung und Vorbereitung auf das Kommen Christi. 

Heutige Handlungsimpulse 

  1. Vertrauen in Gottes Fürsorge – Sorgen um Familie oder Verantwortung dürfen uns nicht lähmen, wenn Gott uns zu einem Dienst beruft. 
  1. Freimut im Zeugnis – Geistige Kraft kommt durch die Verbindung mit dem Herrn, nicht allein durch Argumente. 
  1. Gaben ergänzen sich – Unterschiedliche Berufungen und Talente werden vom Herrn bewusst kombiniert, um sein Werk zu fördern. 
  1. Den größeren Plan sehen – Auch wenn Umstände schwierig sind, führt Gott seine Absichten weiter, oft über unseren Blick hinaus. 

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Mittwoch, 10. September 2025

Ehe für deine Kinder gesorgt ist

 

(Bild: Quelle)

“Und nun, wahrlich, ich sage dir: Es ist nicht ratsam, dass du gehst, ehe für deine Kinder gesorgt ist und sie wohlwollend an den Bischof in Zion gesandt worden sind.” (Lehre und Bündnisse 99:6). 

Lehre und Bündnisse 99 – Historischer Kontext und geistliche Lehren 

Die Offenbarung in Lehre und Bündnisse 99 wurde am 29. August 1832 in Hiram, Ohio, an John Murdock gegeben. Murdock war ein früher Bekehrter in Kirtland, der im November 1830 durch Missionare des „Lamaniten-Auftrags“ getauft wurde. Er brachte von Anfang an eine besondere Bereitschaft mit, sich in den Dienst des Evangeliums zu stellen. Sein persönlicher Weg war jedoch von tiefem Leid geprägt: Seine Frau Julia verstarb im April 1831 kurz nach der Geburt von Zwillingen. Neben den drei älteren Kindern blieben ihm auch die neugeborenen Zwillinge, die er aus Sorge um ihr Wohlergehen Joseph und Emma Smith anvertraute. Das Schicksal der Familie war tragisch — eines der adoptierten Zwillingskinder starb in Folge eines Überfalls auf das Haus der Smiths, das andere, Julia, wuchs später bei Emma auf und wurde erwachsen. 

Murdock selbst blieb trotz dieser schweren Verluste im Werk des Herrn tätig. Bereits 1831 war er von Joseph Smith beauftragt worden, als Missionar nach Missouri zu reisen. Nach seiner Rückkehr nach Ohio nahm er wieder Missionsarbeit auf. Die Offenbarung von 1832 kam zu einer Zeit, als die Kirche ihr Missionsfeld in den östlichen Bundesstaaten ausdehnte, um Gemeinden zu stärken und neue Bekehrungen zu gewinnen. Sie zeigt bemerkenswert, dass der Herr sowohl die persönlichen Umstände als auch die geistliche Berufung seiner Diener kennt. Murdock erhielt den klaren Auftrag, erneut auf Mission zu gehen, jedoch unter der Bedingung, dass zuerst für die Versorgung seiner Kinder gesorgt sei — ein seltener, aber deutlicher Hinweis darauf, dass in Gottes Ordnung familiäre Verantwortung nicht zugunsten äußerer Dienste vernachlässigt werden darf. 

Die ersten Verse der Offenbarung (Verse 1–3) betonen die persönliche Berufung Murdocks. Der Herr spricht ihn direkt an und beauftragt ihn, in die Oststaaten zu gehen, von Haus zu Haus das Evangelium zu lehren. In dieser Formulierung liegt ein Grundprinzip geistlicher Führung: Berufungen sind individuell, persönlich zugeschnitten und beinhalten klare Handlungsanweisungen. Gleichzeitig wird die Würde des Dienstes hervorgehoben — wer den Diener empfängt, empfängt Christus selbst. Für heutiges Handeln bedeutet das, dass wir uns bewusst machen sollten, dass jede Berufung, ob groß oder klein, ein Werk im Namen Christi ist und daher mit derselben Ernsthaftigkeit und Hingabe ausgeführt werden sollte. 

Die nächsten Anweisungen (Verse 4–5) erinnern daran, dass nicht jeder die Botschaft annehmen wird. Der Auftrag, „die Füße zu reinigen“, drückt sinnbildlich aus, sich innerlich rein zu halten und ohne Bitterkeit weiterzugehen, selbst wenn man auf Ablehnung stößt. Dieses Prinzip ist zeitlos: Wer sich für Wahrheit und Rechtschaffenheit einsetzt, muss lernen, mit Widerstand umzugehen, ohne sich entmutigen zu lassen. Der Hinweis, dass der Herr bald zum Gericht kommt, ruft ins Bewusstsein, dass alles Tun letztlich vor Gott Rechenschaft findet — ein Aufruf, unser Leben bewusst und verantwortungsvoll zu gestalten. 

Besonders eindrücklich wird der familiäre Aspekt in Vers 6 betont. Bevor Murdock auf Mission geht, soll er sicherstellen, dass seine Kinder gut versorgt sind. Hier zeigt sich eine klare Priorität: Geistlicher Dienst darf nicht in Konflikt mit der Pflicht gegenüber der Familie geraten. Für heutige Gläubige ist das eine wichtige Orientierung: Wer dienen will, muss zunächst seine Grundverantwortungen im eigenen Zuhause erfüllen. 

Der Abschluss der Offenbarung (Verse 7–8) spricht von einer zukünftigen Segnung — dem Erbteil im „guten Land“ zu gegebener Zeit. Diese Zusage ist mit Geduld verbunden: Murdock soll geduldig auf Gottes Zeitpunkt vertrauen und bis zu seiner „Wegnahme“ beständig im Werk bleiben. Hier wird das Prinzip des lebenslangen Dienstes betont: Missionarische und geistliche Aufgaben sind nicht nur auf einen Lebensabschnitt beschränkt, sondern begleiten den Gläubigen bis zum Ende. 

In ihrer Gesamtheit verbindet die Offenbarung somit drei Kernbereiche: die persönliche Berufung im Werk des Herrn, den verantwortungsvollen Umgang mit familiären Pflichten und die Bereitschaft, in Geduld und Beständigkeit bis ans Lebensende zu dienen. Für unser heutiges Handeln ergeben sich daraus mehrere zentrale Lehren: 

Erstens, dass Berufungen nicht zufällig sind, sondern vom Herrn in Kenntnis unserer persönlichen Stärken, Schwächen und Lebensumstände gegeben werden. Zweitens, dass wir in unserem Dienst stets die Haltung wahren sollten, dass wir in Christi Auftrag handeln, was uns Mut gibt und zugleich zur Demut verpflichtet. Drittens, dass wir lernen müssen, Ablehnung auszuhalten und trotzdem mit reinem Herzen weiterzugehen. Viertens, dass Familie Vorrang hat und ein geistlicher Dienst erst dann in rechter Weise geschehen kann, wenn die Grundverantwortung zuhause gesichert ist. Fünftens, dass Gottes Zeitplan oft Geduld verlangt, seine Zusagen aber zuverlässig erfüllt werden. Und schließlich, dass unsere Hingabe zum Evangelium nicht an äußere Lebensphasen gebunden ist, sondern bis zum Ende unseres Erdenlebens Bestand haben sollte. 

Historisch betrachtet steht Lehre und Bündnisse 99 in einer Reihe von Offenbarungen der Jahre 1831–1832, die missionarische Ausbreitung und die Stärkung bestehender Gemeinden zum Ziel hatten. Während viele dieser Aufträge ohne Rücksicht auf persönliche Umstände formuliert wurden, ist diese Offenbarung besonders, weil sie familiäre Verantwortung ausdrücklich als Bedingung für die Ausführung der Berufung nennt. Sie ist damit ein bemerkenswerter Beleg für die Ausgewogenheit göttlicher Führung — eine Balance zwischen Pflicht gegenüber Gott und Pflicht gegenüber den Nächsten, besonders innerhalb der Familie. 

So ist diese kurze Offenbarung nicht nur ein historisches Missionsmandat für einen treuen frühen Heiligen, sondern ein zeitloses Lehrstück darüber, wie der Herr seine Diener führt, schützt und auf den rechten Weg weist. Wer sie heute liest, findet in ihr eine klare Orientierung: Diene, wo du kannst, mit voller Hingabe — aber sorge zuerst für die dir anvertrauten Menschen, vertraue Gottes Zeitplan und halte durch bis ans Ende. 

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Dienstag, 9. September 2025

Sollst du ihm vergeben, bis zu siebzigmal siebenmal

 

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“... und sooft dein Feind von der Verfehlung, womit er gegen dich gefehlt hat, umkehrt, sollst du ihm vergeben, bis zu siebzigmal siebenmal.” (Lehre und Bündnisse 98:40). 

Lehren aus Lehre und Bündnisse 98:1-48 

Die Offenbarung in Lehre und Bündnisse 98 wurde Joseph Smith im Spätsommer 1833 gegeben. Sie richtet sich an die bedrängten Heiligen in Missouri, die schwere Verfolgungen durch die umliegenden Bevölkerungen erleiden mussten. Die Gläubigen waren von feindlichen Nachbarn vertrieben, hatten Verlust von Besitz und Heimat erlitten und standen vor der schwierigen Frage, wie sie sich angesichts dieser Bedrängnisse verhalten sollten – besonders in Bezug auf Gesetze, Widerstand und Gewalt. Die Offenbarung gibt Anleitung zu Geduld, Gebet, Rechtsgehorsam, aber auch zur Verteidigung im Falle von Ungerechtigkeit. Sie enthält wichtige Prinzipien für die Beziehung der Heiligen zu weltlichen Gesetzen und ist in dieser Hinsicht auch für heutige Fragestellungen wie Sklaverei von Bedeutung. 

1. Trost und Hoffnung für das bedrängte Volk (Verse 1–3) 

Der Herr beginnt mit einer liebevollen Ermahnung, seine bedrängten Kinder zu trösten und Geduld zu üben (V.1-3). Er verspricht, dass ihre Opfer und ihr Leiden nicht vergeblich sind, sondern „nach dem Maß ihrer Mühen“ belohnt werden. Diese Zusage stärkt das Vertrauen, dass trotz äußerer Bedrängnis Gottes Verheißungen sich erfüllen werden. Hier wird eine Parallele zu Römer 8:18 sichtbar, wo Paulus schreibt, dass „die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Gerade in Zeiten von Ungerechtigkeit und Flucht ist dieser geistige Trost fundamental. 

2. Das Verhältnis zu menschlichen Gesetzen und göttlicher Freiheit (Verse 4–8) 

Ein zentraler Lehrsatz ist, dass Gott irdische Regierungen und Gesetze einsetzt, um die Freiheit seiner Kinder zu bewahren (V.4-5). Es gilt das Prinzip: Gesetze sind von Gott gegeben, wenn sie dem Schutz der Freiheit und des Wohlergehens dienen. Dies ist eine klare Absage an jede Form von Tyrannei oder Ungerechtigkeit, die Menschen unterdrückt. 

Vers 7 betont, dass alles, was menschliche Gesetze betrifft, das über diese göttliche Grundlage hinausgeht oder sie verletzt, „vom Bösen“ stammt. Diese Aussage ist besonders relevant für das Thema Sklaverei, die damals in den USA tief verwurzelt und heiß umstritten war. Sklaverei widerspricht dem göttlichen Prinzip der Freiheit, da sie Menschen zur Ware macht und ihrer Gott gegebenen Rechte beraubt. Damit weist die Offenbarung implizit auf die Unvereinbarkeit von Sklaverei und göttlich angeordnetem Recht hin. 

In diesem Kontext mahnt Vers 8, dass diejenigen, die Gesetze gegen die Freiheit erlassen oder aufrechterhalten, sich vor Gottes Gericht verantworten müssen. Die Heiligen sollen sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen, ohne selbst ungerecht zu handeln. 

3. Die Trauer über ungerechte Herrschaft und der Ruf nach Rechtschaffenheit (Verse 9–11) 

Vers 9 beschreibt die Trauer des Volkes, wenn „die Schlechten herrschen.“ Dies ist ein zeitloser Ausdruck von Leid über korrupte oder tyrannische Herrschaft. Die Offenbarung spricht somit auch von der Pflicht, für gerechte Führung einzutreten. In Vers 10 werden die Heiligen ermahnt, diejenigen zu unterstützen, die „das Gesetz des Landes rechtfertigen“ – also gesetzestreue, ehrliche und weise Führer. 

Gleichzeitig fordert die Offenbarung in Vers 11 dazu auf, selbst gesetzestreu zu sein, „auch wenn ihr für das Reich Gottes leiden müsst.“ Die Heiligen sind also aufgerufen, sowohl staatliches Recht zu respektieren als auch in rechtschaffenem Verhalten zu bestehen – selbst unter Verfolgung. 

4. Geduld und Zurückhaltung bei Konflikten (Verse 12–15) 

In diesen Versen fordert der Herr dazu auf, Widerstand nur zu leisten, wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind. Es wird geraten, „Beleidigungen und Widerwärtigkeiten geduldig zu ertragen“ (V. 12). Erst wenn „alle friedlichen Mittel“ versagen, sei Verteidigung erlaubt. 

Diese Lehre steht in enger Verbindung mit Jesu Worten in Matthäus 5:39 („Widersteht dem Bösen nicht, sondern wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar“). Geduld und Frieden sind primär, doch Verteidigung ist gerechtfertigt, wenn es der Schutz der Unschuldigen ist. 

5. Bedingungen für Krieg und Verteidigung (Verse 16–26) 

Diese Verse geben klare Kriterien für den Einsatz von Gewalt und Krieg vor: Krieg ist nur dann erlaubt, wenn er der Verteidigung dient und vorher Friedensangebote gemacht wurden (V. 23). Die Heiligen sollen sich nicht als Aggressoren betätigen, sondern nur reagieren, wenn alle anderen Wege versagen. 

Historisch war dies für die Heiligen in Missouri eine hochaktuelle Frage. Sie wurden von Nachbarn angegriffen und vertrieben. Die Offenbarung gebietet ihnen, sich rechtlich und friedlich zu wehren, bevor sie zum Äußersten greifen. Diese Maßgabe folgt dem alttestamentlichen Grundsatz aus 5. Mose 20:10–12, der vor einer Belagerung den Feinden Frieden anbieten soll. 

6. Vergebung und Barmherzigkeit (Verse 27–32) 

Der Herr fordert in diesen Versen zu Geduld und Vergebung auf. Er sagt, dass man „dreimal Unrecht ertragen“ soll, bevor man sich verteidigt (V. 27). Das Wiederholungsmotiv der Vergebung erinnert an Matthäus 18:21–22, wo Jesus zu „siebzigmal siebenmal“ Vergebung ermutigt. Dabei geht es nicht um mathematische Begrenzung, sondern um eine Herzenseinstellung der Langmut. 

Diese Lehre zeigt den Charakter einer gerechten, aber barmherzigen Gesellschaft, die auf Gnade baut. Gleichzeitig wird Verteidigung nicht ausgeschlossen, sondern erst als letztes Mittel zugelassen. 

7. Das Gleichgewicht von Recht und Gerechtigkeit (Verse 33–38) 

Hier wird betont, dass der Herr die Gerechten beschützt, dass aber auch die Übeltäter gerichtet werden. Es ist ein Zuspruch an die Geduldigen und Rechtschaffenen, dass ihr Gehorsam nicht vergeblich bleibt. 

Dieses Prinzip wird im Buch Mormon in Alma 37:6 ähnlich ausgedrückt: „Kleine Dinge bringen große zum Vorschein.“ Der Gehorsam gegenüber göttlichem Recht zeigt sich letztlich in göttlichem Schutz. 

8. Mahnung zur friedvollen Rechtsdurchsetzung und zum Vertrauen (Verse 39–48) 

Die Verse 39 bis 48 von Lehre und Bündnisse 98 schließen die Offenbarung mit wichtigen Lehren über Vergebung, Geduld, friedlichen Widerstand und Vertrauen ab. Vers 39 fordert die Heiligen auf, keine persönliche Rache zu üben, sondern die Vergeltung Gott zu überlassen – ein Prinzip, das auch in Römer 12:19 bekräftigt wird. Vergebung ist ein zentrales Thema: In Vers 41 wird betont, dass man anderen auch dann vergeben soll, wenn sie beim ersten Fehltritt nicht umkehren, was die unbegrenzte Barmherzigkeit Gottes widerspiegelt. Diese Haltung entspricht den Lehren Jesu in Matthäus 18:21–22 und im Buch Mormon (Mosia 26:30). 

Die Offenbarung ermahnt die Gläubigen, geduldig zu sein und nicht in Zorn oder Ungeduld zu verfallen, wenn das Werk Gottes verzögert wird. Sie sollen trotz Widerständen standhaft bleiben und auf die Erfüllung göttlicher Verheißungen warten. Gleichzeitig wird die Achtung vor gerechten Gesetzen betont: Die Heiligen sollen ihre Rechte auf friedlichem Weg verteidigen und das Gesetz respektieren, soweit es mit Gottes Prinzipien übereinstimmt. 

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Montag, 8. September 2025

Freut euch immerdar, und gebt in allem Dank

 

(Bild: Quelle)

“Wahrlich, ich sage euch, meine Freunde: Fürchtet euch nicht, euer Herz sei getrost; ja, freut euch immerdar, und gebt in allem Dank;” (Lehre und Bündnisse 98:1). 

1. Historischer Hintergrund und Kontext von L&B 98 

Anfang August 1833 befand sich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in einer kritischen Phase. In Jackson County, Missouri – dem von den Offenbarungen als „Ort für Zion“ bezeichneten Gebiet – hatten sich Spannungen zwischen den Mitgliedern der Kirche (den „Heiligen“) und den alteingesessenen Siedlern in den vergangenen Monaten deutlich verschärft. Die Ursachen waren vielfältig: religiöse Differenzen, kulturelle Gegensätze, wirtschaftliche Konkurrenz und insbesondere Fragen rund um die Sklaverei. Viele Heilige stammten aus Nordstaaten, wo abolitionistische Gedanken verbreiteter waren, und ihr schnelles Bevölkerungswachstum weckte bei den Einheimischen Sorgen um politischen und gesellschaftlichen Einfluss. 

Die Situation spitzte sich Ende Juli 1833 zu, als ein Mob das Büro der Kirchenzeitung Evening and Morning Star zerstörte, den Herausgeber W. W. Phelps bedrohte und führende Mitglieder wie Edward Partridge und Charles Allen teerte und federte. Die Gewalt zwang viele Heilige, ihre Häuser zu verlassen. Diese Ereignisse sollten Joseph Smith erst Wochen später durch Briefe erreichen – die Nachrichten reisten langsam von Missouri nach Kirtland, Ohio. 

Am 6. August 1833, noch bevor Joseph von diesen Vorfällen wusste, empfing er in Kirtland die Offenbarung, die später als Lehre und Bündnisse 98 kanonisiert wurde (scripturecentral.orgdoctrineandcovenantscentral.org). Sie bot Trost, rief zur Geduld auf und ermahnte zu einer friedvollen Haltung – Botschaften, die sich als erstaunlich passgenau für die bedrängten Gläubigen in Missouri erwiesen, obwohl Joseph das volle Ausmaß der Gewalt noch nicht kannte. 

2. Inhaltliche Hauptlinien der Offenbarung 

Die Offenbarung gliedert sich in mehrere Schwerpunkte, die im historischen Kontext besonders bemerkenswert sind: 

  • Ermutigung zur Freude in der Trübsal (Verse 1–3): Die Heiligen werden aufgefordert, „euch in allem zu freuen“, da ihre Leiden letztlich zu ihrem Besten dienen und in Herrlichkeit enden werden. 
  • Aufruf zur Rechtschaffenheit und zum Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz (Verse 4–11): Die Heiligen sollen sich an die göttlichen Gesetze halten, die der Herr gegeben hat, um sie frei zu machen, und nicht an Menschengebote, die Knechtschaft bringen. 
  • Gebot zur Feindesliebe und Gewaltvermeidung (Verse 23–48): Sie sollen dreimalige Beleidigungen oder Angriffe geduldig ertragen, bevor sie handeln; und selbst dann ist Vergeltung nicht geboten, sondern Vergebung wird als höhere Pflicht dargestellt. 
  • Aufforderung, sich an die Verfassung der Vereinigten Staaten zu halten (Verse 4–7): Die Offenbarung erklärt die Verfassung als göttlich inspiriert und zur Gewährleistung der Freiheit aller Menschen eingesetzt. 

Gerade dieser letzte Punkt bekommt im Kontext der Sklavenfrage besonderes Gewicht, denn er stellt ein göttliches Ideal der allgemeinen Freiheit in den Vordergrund – während die Realität in Missouri von Sklaverei geprägt war. 

3. Sklaverei als Spannungsfeld 

Obwohl Lehre und Bündnisse 98 die Sklaverei nicht ausdrücklich anspricht, spielte sie im Umfeld der Offenbarung eine Schlüsselrolle. Missouri war ein Sklavenstaat, und viele der alteingesessenen Siedler sahen in den Heiligen eine potenzielle Bedrohung für das bestehende System. 

Ein wesentlicher Auslöser für Misstrauen war ein Artikel in der Evening and Morning Star von Juli 1833, in dem W. W. Phelps zwar betonte, dass die Kirche keine gesetzeswidrigen Versuche unternehme, Sklaven zu befreien, aber auch Hinweise gab, wie freie Schwarze in Missouri ankommen könnten. Für viele Missourianer reichte allein diese Andeutung, um die Heiligen als abolitionistisch zu brandmarken. 

Die kirchliche Haltung in dieser Zeit war komplex: 

  • 1835 wurde in Lehre und Bündnisse 134 festgehalten, dass die Kirche nicht beabsichtige, sich in staatlich erlaubte Sklaverei einzumischen. Das war eine Anpassung an den politischen Druck in Missouri. 
  • Joseph Smith selbst äußerte sich in den 1830er-Jahren zurückhaltend zur Abschaffung, schlug jedoch 1844 in seiner Präsidentschaftskampagne vor, die Sklaverei bis 1850 stufenweise abzuschaffen, finanziert durch den Verkauf öffentlicher Ländereien. 
  • Nach Joseph Smiths Tod verstärkte sich unter Brigham Young für einige Jahrzehnte eine theologische Rechtfertigung der Sklaverei, verbunden mit dem Priestertumsverbot für Schwarze – gestützt auf damals verbreitete, heute verworfene Interpretationen wie den „Fluch Kains“ oder „Fluch Hams“. 

Vor diesem Hintergrund erhält die Passage in L&B 98 über die göttlich inspirierte Verfassung und die Freiheit aller Menschen eine gewisse Spannung: Sie proklamiert ein Ideal, das in der damaligen US-Realität, besonders in Missouri, nicht verwirklicht war. 

4. Die prophetische Dimension 

Dass Joseph Smith diese Offenbarung vor der Ankunft der Nachrichten aus Missouri empfing, ist ein bemerkenswerter Aspekt. Für die Heiligen in Jackson County waren die Worte wie eine vorweggenommene Antwort Gottes: 

  • Sie sollten sich nicht zu Vergeltung hinreißen lassen, obwohl sie provoziert und misshandelt wurden. 
  • Sie wurden ermahnt, erst nach wiederholten Angriffen – und auch dann nur im Geiste der Rechtschaffenheit – Widerstand zu leisten. 
  • Sie sollten ihre Feinde lieben und für sie beten, selbst wenn diese Unrecht taten. 

Diese Mahnungen standen in direktem Gegensatz zur gängigen gesellschaftlichen Praxis, in der Ehre und Vergeltung stark betont wurden. 

5. Folgereaktionen und weitere Offenbarungen 

Als Joseph später im August 1833 schließlich die Briefe aus Missouri erhielt und das volle Ausmaß der Gewalt erkannte, empfing er weitere Offenbarungen, darunter L&B 99100 und besonders 101. Diese gaben zusätzliche Handlungsanweisungen, rechtliche Strategien und geistlichen Trost. 

L&B 98 blieb jedoch die erste, vorauseilende Botschaft, die der Herr gab – und sie legte den Ton fest: geduldig ertragen, Gott vertrauen, das Gesetz achten, Freiheit hochhalten und Gewalt meiden. 

6. Bedeutung für heute 

Aus heutiger Sicht lehrt L&B 98 mehrere Prinzipien: 

  • Göttliche Voraussicht: Gott kann seine Diener und sein Volk auf Prüfungen vorbereiten, bevor sie eintreten. 
  • Friedfertigkeit in Konflikten: Selbst in feindlicher Umgebung ist Gewalt nicht der erste Weg – Geduld und rechtmäßige Mittel haben Vorrang. 
  • Freiheit als göttliches Ideal: Die Offenbarung bekräftigt das Prinzip, dass wahre Gesetze der Freiheit von Gott inspiriert sind, was für den Umgang mit gesellschaftlichen Fragen auch heute wegweisend ist. 
  • Umgang mit gesellschaftlichem Druck: Die Geschichte zeigt, wie Gläubige in einer Kultur leben können, die zentrale Glaubenswerte nicht teilt – ein Spannungsfeld, das auch heute existiert. 

Zusammenfassung 

Lehre und Bündnisse 98 ist eine Offenbarung vom 6. August 1833, empfangen in Kirtland, Ohio, bevor Joseph Smith von den Übergriffen in Missouri wusste. Sie bietet Trost, ruft zu Geduld und Gewaltlosigkeit auf, betont die Achtung der göttlich inspirierten Gesetze und die Freiheit aller Menschen. Die Umstände in Missouri – verschärft durch Spannungen um die Sklavereifrage – machten diese Botschaft unmittelbar relevant. Für die Heiligen war sie ein Aufruf, trotz Verfolgung friedlich zu bleiben und auf Gottes Eingreifen zu vertrauen. Historisch gesehen steht sie an einem Wendepunkt, an dem geistliche Ideale und politische Realitäten heftig aufeinanderprallten – und sie bleibt ein Beispiel für prophetische Führung in Krisenzeiten. 

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Samstag, 6. September 2025

Darum lasst Zion sich freuen

 

(Bild: Quelle)

“Darum wahrlich, so spricht der Herr: Lasst Zion sich freuen, denn dies ist Zion – die im Herzen Reinen; darum lasst Zion sich freuen, während alle Schlechten trauern.” (Lehre und Bündnisse 97:21). 

Lehren aus Lehre und Bündnisse 97 

Die Offenbarung in Lehre und Bündnisse 97 beginnt mit einem tiefen Einblick in das Herz des Herrn für diejenigen, die ihn aufrichtig suchen. Er spricht lobend über jene in Zion, die sich durch Demut, Treue und echte Lernbereitschaft ausgezeichnet haben. Diese Menschen, so sagt er, liebt er wegen der Aufrichtigkeit ihres Herzens. Hier wird deutlich, dass der Herr nicht nur auf äußeres Verhalten achtet, sondern vor allem auf die innere Gesinnung – auf das Verlangen, zu lernen, zu wachsen und ihm näherzukommen. In unserer Zeit lädt uns dieser Abschnitt ein, unsere eigene Herzenseinstellung zu prüfen: Streben wir wirklich danach, belehrbar zu sein? Suchen wir den Herrn mit einem redlichen Herzen, oder halten wir an selbstgewählten Maßstäben fest? In einer Welt, die oft von Selbstdarstellung und Oberflächlichkeit geprägt ist, ruft uns diese Offenbarung zu Innerlichkeit, zu Demut und zur wahren Jüngerschaft. 

Dem Lob folgen allerdings ernsthafte Warnungen. Es scheint, dass nicht alle in Zion die gleiche Herzenshaltung an den Tag legten. Einige werden symbolisch mit einem Baum verglichen, der keine gute Frucht bringt. Solche Menschen, so der Herr, können nicht auf Dauer bestehen – sie werden entfernt werden, wie ein unfruchtbarer Baum gefällt wird. Diese scharfe Bildsprache macht klar: Zugehörigkeit zur Kirche allein genügt nicht. Der Herr erwartet Wachstum, Reue, Früchte der Umkehr. Auch für unsere Zeit ist dies ein eindringlicher Aufruf: In einer Kultur, in der es leicht ist, sich mit oberflächlichem Engagement zufriedenzugeben, verlangt der Herr weiterhin ganze Hingabe. Spirituelles Wachstum ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess, den wir nicht aufschieben dürfen. 

Im Zentrum der Offenbarung steht dann der Aufruf, mit dem Bau des Hauses des Herrn fortzufahren – des Tempels in Zion. Trotz äußerer Bedrohung und realer Gefahren wurde den Heiligen geboten, mit dem Werk voranzuschreiten. Der Herr spricht mit Nachdruck davon, dass sie sich beeilen sollen, und zwar nach dem Muster, das er ihnen gegeben hat. In diesem Aufruf liegt eine tiefe Wahrheit verborgen: Der Aufbau von Zion ist nicht nur eine Vision für die Zukunft, sondern eine konkrete Aufgabe für die Gegenwart – selbst in Zeiten der Unsicherheit. Für uns heute bedeutet das: Der Bau Zions beginnt in unseren eigenen Häusern, in unseren Herzen, in unseren Gemeinden. Der „Tempel“ als Symbol für Heiligkeit, Ordnung und göttliche Nähe muss auch heute inmitten von Chaos und Gegenwind errichtet werden – durch Glauben, durch Opfer, durch Hingabe. Momentan hat die Kirche insgesamt 382 Tempel in 81 Ländern (siehe hier). 

Eng damit verknüpft ist die Bedeutung des Tempels als Ort der Belehrung. Die Offenbarung macht deutlich, dass in diesem Haus Lehrer und Schüler zusammenkommen sollen, um nach dem Willen Gottes unterrichtet zu werden. Das Lernen ist hier nicht akademisch, sondern geistlich – durch Offenbarung, durch den Einfluss des Geistes. Wer sich in diesem Haus aufhält, soll in einer Haltung der Dankbarkeit, Demut und Bereitschaft verweilen. Gerade in unserer modernen Welt, in der Wissen oft mit Macht verwechselt wird, betont diese Offenbarung eine andere Art von Lernen: Lernen durch Heiligkeit, durch Gemeinschaft, durch Gehorsam. Die Einladung, sich schulen zu lassen, richtet sich auch an uns – wir sind aufgerufen, unser ganzes Leben lang Schüler in Gottes Schule zu sein. 

In einer besonders tröstlichen Wendung verheißt der Herr schließlich seinen persönlichen Beistand, sollte das Volk ihm gehorsam sein. Er erklärt, dass er in seinem Tempel gegenwärtig sein werde – dass seine Herrlichkeit das Haus erfüllen und seine Hand es beschützen werde. Zion werde zu einer hohen Burg, zu einem Ort der Stärke und des Schutzes, und sein Volk werde gesegnet sein. Diese Verheißungen sind von tiefem Gewicht. Sie zeigen, dass der Tempel nicht nur ein Bauwerk ist, sondern ein Ort der Begegnung – zwischen Himmel und Erde, zwischen Mensch und Gott. Auch heute steht der Tempel im Zentrum unseres geistigen Lebens. Wer ihn aufsucht, mit reinem Herzen und bereit, Belehrung zu empfangen, wird die Gegenwart des Herrn in seinem Leben spüren – als Führung, als Trost, als Kraftquelle. 

Doch die Offenbarung endet nicht mit einer bloßen Verheißung. Vielmehr enthält sie auch eine Mahnung: Wenn das Volk Gottes seinen Bund nicht hält, dann wird es keine Ausnahmebehandlung geben. Auch das Bundesvolk ist dem Gesetz Gottes unterworfen. Wenn es ungehorsam ist, wird es Bedrängnis erleiden – nicht aus Rachsucht, sondern aus Gerechtigkeit und zur Erweckung. Der Herr wirkt nicht mit Zwang, aber er lässt zu, dass Konsequenzen uns zur Umkehr rufen. Dieser Grundsatz ist heute genauso gültig wie damals. Gott ist geduldig, langmütig, liebevoll – aber nicht gleichgültig. Sein Werk ist groß, und er erwartet von uns, dass wir es mit Ernsthaftigkeit und Konsequenz angehen. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lehre und Bündnisse 97 eine kraftvolle Kombination aus Lob, Warnung, Auftrag und Verheißung enthält. Die darin enthaltenen Lehren sind zutiefst relevant für die heutige Kirche und für jeden Einzelnen. Es geht um Herzenshaltung, um wahres Lernen, um den Aufbau heiliger Orte trotz Widerständen, um das Wirken Gottes inmitten unserer Mühen und um die Wichtigkeit von Gehorsam und Konsequenz. Zion ist nicht nur eine geografische Vision – es ist ein geistiger Zustand. Jeder, der sich dem Herrn zuwendet, ihm dient und sich von ihm formen lässt, wird zum Baumeister dieses geistigen Zion. Der Tempel – in all seiner symbolischen wie realen Bedeutung – steht im Mittelpunkt dieses Werkes. Wer sich dem Herrn dort naht, bereitet sich nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf das kommende Reich Gottes vor. 

Die Offenbarung lädt uns also ein, Teil eines größeren Ganzen zu werden. Sie ruft zur persönlichen Umkehr, zur geistigen Schulung, zum Dienst an anderen und zur Errichtung heiliger Räume – in unseren Häusern, unseren Herzen und unserer Gesellschaft. Auch wenn äußere Umstände widrig sein mögen, gilt: Zion beginnt mit uns. Die Verheißungen stehen, die Einladung ist ausgesprochen – es liegt an uns, sie anzunehmen. 

Präsident Russell M. Nelson lädt uns immer wieder freundlich, aber eindringlich ein, häufiger den Tempel zu besuchenTempelverordnungen zu empfangen und zu vollziehen, und Tempelbündnisse in unserem Leben zu ehren

Er betont dabei regelmäßig: 

  • Der Tempel ist der sicherste Ort auf Erden. 
  • Wer sich auf den Tempel ausrichtet, wird geistig gestärkt und geschützt. 
  • Der Bau und Besuch von Tempeln ist ein Zeichen unserer Liebe zu Gott. 
  • Wir sollen Tempelwürdigkeit täglich anstreben, nicht nur gelegentlich. 

Seine Einladung ist also: Lebe bündnisorientiert – persönlich, als Familie und als Gemeinde. 

findechristus.org

Freitag, 5. September 2025

Ich, der Herr, habe Wohlgefallen daran, dass es eine Schule in Zion gibt

 

Schule der Propheten
(Bild: Quelle)

“Siehe, ich sage euch in Bezug auf die Schule in Zion: Ich, der Herr, habe Wohlgefallen daran, dass es eine Schule in Zion gibt, und auch an meinem Diener Parley P. Pratt, denn er verbleibt in mir.” (Lehre und Bündnisse 97:3). 

Lehre und Bündnisse 97 – Historischer Kontext und Entstehung 

Die Offenbarung, die heute als Lehre und Bündnisse 97 bekannt ist, wurde am 2. August 1833 in Kirtland, Ohio, gegeben – in einer Zeit dramatischer Entwicklungen sowohl in Kirtland als auch in Zion, dem Gebiet um Independence im Jackson County, Missouri. Die junge Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage befand sich inmitten intensiver geistiger und organisatorischer Aufbauarbeit. Während in Kirtland erste Baupläne für einen Tempel und dazugehörige Einrichtungen wie ein Schulhaus und Verwaltungsgebäude Gestalt annahmen, wurde die Lage in Missouri zunehmend angespannt. Die Mitglieder in Jackson County waren dort bereits im Begriff, ihre Verheißungen von Zion zu verwirklichen, doch gleichzeitig sahen sie sich wachsendem Widerstand und Gewalt durch die ansässige Bevölkerung ausgesetzt. 

Im Juli 1833 erreichte die Situation in Missouri einen tragischen Wendepunkt. Am 20. Juli stürmte ein gewalttätiger Mob die Kircheigene Druckerei, die unter der Leitung von William W. Phelps stand. Die Angreifer zerstörten nicht nur Maschinen und Manuskripte, sondern bedrohten auch die Existenz der gesamten Gemeinde. Wenige Tage später, am 23. Juli, sahen sich die Führer der Kirche in Missouri gezwungen, einem erzwungenen „Friedensabkommen“ zuzustimmen, in dem sie erklärten, Jackson County bis Ende des Jahres zu verlassen. Die Heiligen standen damit vor der bitteren Aussicht, ihr verheißungsvolles Erbe in Zion aufzugeben – zumindest vorerst. 

Diese Umstände führten dazu, dass mehrere Briefe nach Kirtland geschickt wurden, in denen die Missouri-Heiligen dringend um geistliche Führung baten. Insbesondere wollten sie wissen, wie sie angesichts der dramatischen Entwicklung mit ihrer Mission, Zion aufzubauen, fortfahren sollten. Auch baten sie um Offenbarung zur „Schule der Ältesten“, jener Schule der Ältesten, die in Zion eingerichtet werden sollte, um künftige Führer und Lehrer im Evangelium auszubilden. In dieser Lage wandten sich ihre Herzen der Quelle geistiger Offenbarung zu: dem Propheten Joseph Smith. 

Am 2. August 1833 empfing Joseph Smith in Kirtland die Offenbarung, die später als L&B 97 kanonisiert wurde. Vier Tage später, am 6. August, wurde ein umfassender Brief mit mehreren Offenbarungen nach Missouri geschickt – darunter auch die Abschnitte 9497 und 98L&B 94 enthielt Anweisungen zum Bau von Verwaltungsgebäuden in Kirtland und war ebenfalls am 2. August gegeben worden. L&B 95, wenige Wochen zuvor empfangen, rief die Heiligen in Ohio energisch dazu auf, mit dem Tempelbau voranzuschreiten. So bildete L&B 97 die direkte, göttliche Antwort auf die Nöte und Fragen der Missouri-Gemeinde – eingebettet in eine Reihe von Offenbarungen, die das Thema Tempel, Vorbereitung und Heiligkeit betonten. 

Die Offenbarung L&B 97 beginnt mit einer bemerkenswert positiven Note: Der Herr lobt die Demut und Lernbereitschaft vieler Mitglieder in Zion. Ihre „Gebete sind zum Herrn emporgestiegen“ und sie haben sich bemüht, rechtschaffen zu wandeln. Doch gleichzeitig enthält die Offenbarung auch ernste Ermahnungen und Warnungen. Die Gemeinde wird sinnbildlich mit einem Baum verglichen – jener, der gute Früchte bringt, wird behalten; doch der, der keine Frucht bringt, wird „gefällt und ins Feuer geworfen“. Diese Bildsprache verweist auf das Gericht Gottes und betont die Notwendigkeit, nicht nur im Glauben zu stehen, sondern auch in Taten beständig zu sein. 

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Tempelbau. Die Heiligen werden angewiesen, unverzüglich mit dem Bau eines Hauses für den Herrn zu beginnen – gemäß dem göttlichen Muster. Dieses Haus soll nicht nur ein Ort der Anbetung sein, sondern vor allem auch ein Raum des Lernens, der Erkenntnis und der geistigen Schulung. Die Offenbarung legt nahe, dass die „Schule der Ältesten“ in eben diesem Haus stattfinden soll, damit alle Lehrer darin unterwiesen und vorbereitet werden können, „wie sie unterweisen und alle Dinge verstehen können, was Zion betrifft“. So wird der Tempel nicht nur als heilige Stätte, sondern als Zentrum der Unterweisung, Offenbarung und geistigen Ausbildung verstanden. 

Bemerkenswert ist, dass die Offenbarung nicht nur Anweisungen und Aufträge enthält, sondern auch tiefe Verheißungen. Sollte das Volk gehorsam sein und das Haus des Herrn nach dem ihm gezeigten Muster errichten, so werde Gott selbst in seiner Herrlichkeit darin wohnen. Er werde Zion zur „hohen Burg“ machen, sie beschützen und segnen. Der Geist des Herrn würde unter ihnen weilen, und das Werk würde groß, herrlich und unerschütterlich werden. Diese Worte mussten inmitten der Notlage in Missouri wie Balsam auf den Seelen der Gläubigen gewirkt haben. 

Doch gleichzeitig enthält die Offenbarung auch die ernste Mahnung, dass bei Ungehorsam „heftige Bedrängnis“ folgen werde. Rückblickend ist besonders tragisch, dass genau in dem Moment, in dem Joseph Smith diese Offenbarung niederschrieb, in Missouri bereits die Ereignisse der Vertreibung voll im Gange waren. Als die Offenbarung schließlich die Heiligen im Jackson County erreichte, war das Druckereigebäude bereits zerstört und der Mobbgewalt war kaum noch zu entkommen. Die Frage, ob der Tempel in Zion tatsächlich gebaut werden konnte, war bereits rein hypothetisch geworden. 

Diese Diskrepanz zwischen göttlicher Verheißung und irdischer Realität führte später zu einer bedeutenden Entwicklung in der Kirchengeschichte. Im Januar 1841, in Lehre und Bündnisse 124, wurde der ursprüngliche Auftrag zum Bau des Tempels in Zion formal aufgehoben. Der Herr sagte darin, dass die Heiligen „aus der Zeit ihrer Errettung entbunden“ seien, weil sie durch widrige Umstände gehindert wurden, das Werk zu vollenden. Dies zeigt, dass Gott sowohl Gehorsam als auch Umstände berücksichtigt – ein tröstender Gedanke für alle, die trotz aller Bemühungen scheitern mussten. 

Die Offenbarung L&B 97 steht somit an einer bedeutenden Wende der Kirchengeschichte. Sie verbindet die tiefen geistigen Bestrebungen der Heiligen in Missouri mit dem Idealbild einer heiligen Stadt, eines Tempels, eines Volkes Gottes – und sie tut dies inmitten realer Verfolgung, Unsicherheit und Gewalt. Ihre Aussagen über Heiligkeit, Schulung, Gehorsam, Tempelarbeit und göttlichen Schutz bieten eine Fülle von Lehren, die auch heute noch in unserer Zeit bedeutungsvoll sind. Historisch gesehen bildet L&B 97 nicht nur eine Antwort auf die Krise in Zion, sondern auch einen Höhepunkt der frühen Tempeltheologie der Kirche. Sie erinnert uns daran, dass Zion nicht allein ein geografischer Ort ist, sondern vor allem ein geistiger Zustand – ein Volk, das Gott sucht, ihm dient und bereit ist, für seinen Namen Opfer zu bringen, selbst unter widrigsten Umständen. 

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